Anwohner Hüsein Göktas über Altonaer Unruhe: „Das Problem kennen wir“

Nach Ausschreitungen zwischen Jugendlichen und Polizei hat Hüsein Göktas den Dialog mit den Beamten gesucht. Ein Gespräch über die gefühlte Vertreibung

Will zwischen Polizei und Jugendlichen vermitteln: Hüsein Göktas Bild: Sebastian Isacu

taz: Herr Göktas, als sich Samstagnacht Polizei und Jugendliche gegenüberstanden, haben Sie vermittelt. Was haben Sie zu den Polizisten gesagt?

Hüsein Göktas: Ich habe gefragt: Wollen Sie die Leute hier wegschleppen? Sie haben geantwortet: Nein. Ich sagte: Ich kann mit ihnen reden. Dann werden sie sich zurückziehen. Die Polizisten antworteten: Dann werden wir uns auch zurückziehen. Und so war es dann auch.

54, ist Vater von acht Kindern und lebt in Altona. Als Jugendliche und Polizisten dort am vergangenen Wochenende aufeinandertrafen, vermittelte er. Am Montag führte er ein klärendes Gespräch mit der Polizei.

Donnerstagnacht, als es zu den Ausschreitungen kam, lief das anders. Da ließen die Polizisten Sie nicht zu den Jugendlichen.

Ich habe es versucht. Aber die Polizisten haben gesagt: Die haben Laserpointer und jetzt nehmen wir die Pässe.

Waren Sie schon dort, als das passierte?

Ich kam zehn Minuten später. Ich hatte gegessen und sah aus dem Fenster, dass die Jungs festgenommen wurden. Ich hörte die Schreie und sah die Polizei.

Was bedeutet dieser Vorfall für die Familien in der Nachbarschaft?

Die Nachbarn sagen: Es ist schlimm, dass so etwas passiert ist. Aber jetzt können wir unsere Probleme besser ausdrücken. Den Jugendlichen in Altonas Altstadt wurden so viele Flächen genommen. Fußballplätze, zum Beispiel. Wo sollen sie jetzt hingehen? Warum tut der Staat nichts für die Kinder?

Was ist denn aus den Fußballplätzen geworden?

Zu Großeinsätzen ist am vergangenen Wochenende die Polizei in Altona ausgerückt. Nachdem Polizisten am Donnerstagabend gewaltsam gegen Jugendliche vorgegangen waren und 16 Menschen festgenommen hatten, brannten in der darauf folgenden Nacht Autos. Samstag endete ein Einsatz, bei dem Beamte auf rund 80 Anwohner trafen, friedlich.

Gesperrt hat die Webseite Youtube am Montag ein Video der Ausschreitungen, das vom alternativen Medienprojekt Utopie TV veröffentlicht wurde. Laut Unternehmen sei dies ein Fehler gewesen. Nach einer taz-Anfrage stellte es die Bilder wieder ins Netz.

Auch verschwunden sind die Laserpointer, mit denen laut Polizei Jugendliche am Donnerstag Autofahrer geblendet haben sollen. Sie hätten keines der Geräte sichergestellt, sagte eine Sprecherin.

Auf einem steht jetzt ein Schwimmbad.

Weshalb bringen Sie diese Veränderungen mit den Polizeieinsätzen in Verbindung?

Seit einem Jahr sind es mehr geworden. Als Ikea angefangen hat zu bauen, ist das Problem entstanden.

Warum glauben Sie, dass das etwas mit Ikea zu tun hat?

Ich weiß nicht. Ich weiß aber, dass Ausländer hier in Altona keine Wohnungen mehr bekommen. Das habe ich gehört. Das ist die Politik, das habe ich auch schon in den 90er-Jahren erlebt. Damals haben sie die Ausländer, Drogenabhängigen und Alkoholiker nach Mümmelmannsberg abgeschoben. Das Problem kennen wir.

Haben Sie das selbst erfahren?

Ich musste mit meiner Familie aus dem Karolinenviertel wegziehen. Die Steg (Stadterneuerungsgesellschaft, Anm. d. Red.) hat gesagt, sie will sanieren, deswegen sind wir hierhergekommen. Aber das Haus ist bis heute nicht saniert worden.

Woher wissen Sie, dass Vermieter hier nicht mehr an Leute mit Migrationshintergrund vermieten?

Das merkt man.

Wann ist es für die Leute hier schwieriger geworden?

Bei der Ausbildung haben es Ausländer meistens schwer. Letztens hat jemand zu mir gesagt, dass es genug Ausbildungsplätze bei Aldi, Toom Markt oder Lidl gibt. Doch meine Tochter hat über hundert Bewerbungen verschickt. Alle haben ihr gesagt, sie hätten momentan nichts für sie, bestimmt, weil sie ein Kopftuch trägt.

Wie gehen Sie mit solchen Rückschlägen um?

Wir versuchen, uns in der Nachbarschaft untereinander auf den Beinen zu halten. Ich versuche, Brötchen und Kuchen von einer Bäckerei, bevor sie weggeschmissen werden, an die Armen und Bedürftigen zu verteilen. Meine Nachbarin, eine deutsche Frau, hat zum Beispiel sieben Kinder. Die kriegen jedes Mal Brot.

Viele Deutsche kennen das Fastenbrechen nicht. Stoßen muslimische Jugendliche deshalb auf Unverständnis, wenn sie im Ramadan nach Sonnenuntergang draußen sind?

Wenn Silvester oder Weihnachten kommt, feiern wir doch auch mit. Wir sind alle Kinder Adams und Evas. Wie kann man über seine Brüder und Schwestern etwas Schlechtes denken?

Haben Sie diesen Eindruck?

Nein, jeder denkt für sich selbst.

In dem Kiosk, vor dem sich die Jugendlichen treffen, liegen jetzt Anstecker, auf denen „Stoppt Rassismus“ steht. Viele haben gesagt: Wir gehen auf die Straße und wehren uns. Unterstützen Sie das?

Ich habe mit ihnen geredet. Das will keiner mehr machen. Sie sind hier im Stadtteil, sitzen auf der Straße, essen und trinken. Das ist alles. Auch die deutschen Nachbarn sagen: Es ist gut, dass die Polizei diese Fehler gemacht hat. Jetzt sprechen wir noch mehr miteinander.