Anwalt Horst Wesemann über politischen Protest: „Das war eher ziviler Ungehorsam“

Horst Wesemann beteiligte sich in Bremen an den Ausschreitungen bei einer Rekrutenvereidigung. Bald sitzt der Strafverteidiger in der Innendeputation.

Horst Wesemann

War immer auf der Seite der Autonomen: Horst Wesemann. Foto: Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Wesemann, Sie werden Rolf Gössner ablösen und für die Linkspartei in der Bremer Innendeputation sitzen. Waren Sie nicht selbst schon im Visier der Strafverfolgungsbehörden?

Horst Wesemann: Ständig. Ich habe eine Zeit lang meine Tür gar nicht mehr repariert, so oft ist die Polizei zu uns reinmarschiert. Aber das war in den 1970er-Jahren. Da häufte sich das, gerade wegen der Unterstützung der RAF-Gefangenen, in den Anti-Folterkommitees. Aber in Stockholm war ich nicht dabei ...

… als zur Freipressung von RAF-Gefangenen die deutsche Botschaft besetzt und zwei Diplomaten erschossen wurden?

Ich habe die Entführungen, die damals gelaufen sind, nicht gebilligt. Aber die Gefangenen zu unterstützen und eine Erleichterung der Haftsituation zu schaffen, dazu stehe ich noch heute. Später habe ich Adelheid Schulz als Anwalt vertreten, die wegen der Morde an Ponto und Schleyer zu lebenslänglich verurteilt wurde. Sie hatte schreckliche Haftbedingungen. Das konnte man schon als Folter bezeichnen und damit war man sofort im Visier der Polizei. Dann kam die Zeit in der Anti-AKW-Bewegung und da war noch mehr los.

66, parteilos, ehemaliger Autonomer, ist Strafverteidiger und war in vielen politischen Verfahren tätig. Heute bildet er Fachanwälte aus. In der Innendeputation wird er den Bürgerrechtler Rolf Gössner ablösen.

Waren Sie einer der friedlichen Sitzblockierer?

Nein, ich gehörte zu den Aktiveren, habe mich aber auch an Sitzblockaden beteiligt. Ich war immer auf der Seite der Autonomen. Wir haben zum Beispiel Häuser besetzt oder den Pavillon im AKW Esenshamm. In Brake sind wir ins Gesundheitsamt eingebrochen, also eingebrochen ist zu viel gesagt. Wir haben das besetzt – aber nur, weil wir wussten, dass der Katastrophenplan für einen Super-GAU im AKW Esenshamm dort aufbewahrt wurde. Wir wollten die Bevölkerung darüber aufklären – eine wilde Zeit.

Ist das heute alles verjährt?

Ja, so schlimme Sachen sind das nicht gewesen. Das erforderte nicht so sehr viel Mut, das war eher ziviler Ungehorsam.

Mit welchen Themen wollen Sie nun in der Innendeputation Akzente setzen?

Ob ich Akzente setzen kann, weiß ich noch nicht. Ich kenne den Koalitionsvertrag. Die Reform des Polizeigesetzes steht an, die Zusammenlegung der Polizei von Bremerhaven und Bremen wird ein Kraftakt. Bei der personellen Aufstockung von Polizei und Feuerwehr wird so getan, als würde tatsächlich jemand eingestellt. Die personelle Misere wird aber nicht beseitigt. Anders ist es bei der Frage der personellen Aufstockung im Bereich der Kriminaltechnik.

Inwiefern?

Damit habe ich jeden Tag als Strafverteidiger zu tun: Die Bearbeitungsdauer wird immer wieder mit zwölf Monaten beschrieben. Eine höhere Ausstattung bringt vielleicht eine Entlastung, aber ich meine, man sollte aufhören, über den Anlass einer Ermittlung hinaus jedes einzelne irrelevante Handy oder jeden Computer auszuwerten – das würde auch entlasten. Als Jurist quälen mich viele Auslegungen des Gesetzes, mit denen ich nicht einverstanden bin.

Zum Beispiel?

Die Polizei steigt regelmäßig ohne eine alternative Arbeitshypothese in Ermittlungsverfahren ein und sagt: Das ist der Täter und dem weisen wir es jetzt nach. Man sucht nur nach dem, was seine Schuld beweisen soll, tatsächlich ist aber vielleicht keine vorhanden. Die Polizei müsste ergebnisoffener ermitteln. Aber ob man das über die Innendeputation erreichen kann, weiß ich nicht. Über den legalen Zugang zu Cannabis-Produkten gibt es jedenfalls viel zu diskutieren. Man sollte sich nicht an dem Modell aus Berlin-Friedrichshain orientieren; dort sollen „Konsumkarten“ eingeführt werden. Da kann ich mir an fünf Fingern abzählen, wer alles ein großes Interesse daran hat, die Konsum-Gewohnheiten der Menschen zu kennen.

Was befürchten Sie?

Dass dann alle Konsumenten von Cannabis anschließend ohne Führerschein dastehen. Die erhoffte personelle Entlastung der Schutzpolizei wird durch das erhöhte Arbeitsaufkommen bei der Führerscheinstelle kompensiert. Wenn es nach mir ginge, könnte man das Betäubungsmittelgesetz komplett abschaffen. Das ist keine realistische Forderung, aber auch die aktuelle Debatte geht ja davon aus, dass bei einer Legalisierung nicht noch mehr Leute hinzukommen, die Drogen nehmen.

Dann hätten auch die Kon­trollen im Ostertor-Viertel ein Ende, die nur Schwarze betreffen.

Im Koalitionsvertrag wird ja explizit erwähnt, dass das „Racial Profiling“ eingeschränkt werden soll. Andererseits ist es nicht zu übersehen, dass es offensichtlich afrikanische Landsleute gibt, die im Viertel mit Drogen handeln.

Und deshalb soll jeder mit schwarzer Haut im Viertel Kontrollen befürchten müssen?

Gerade nicht! Es geht doch darum, dass hier nur ein ohnehin vorhandenes Bedürfnis bedient wird, die stehen ja nicht vor der Schule, um Kindern Drogen zu bringen. Es hat immer einen gleichbleibenden Anteil von Menschen gegeben, die Betäubungsmittel konsumiert haben, egal ob es legal war oder nicht.

Wird Sie der Untersuchungsausschuss zum Bremer Terror­alarm beschäftigen?

Ohne Fraktionsmitglied zu sein, darf ich keine Fragen stellen, und ich werde wohl auch nicht als beratendes Mitglied im Ausschuss sitzen.

Sind Sie Mitglied der Linkspartei?

Ich bin parteilos. Aber die Inhalte der Linkspartei kann ich mir gut zu eigen machen. Seit ich denken kann, bin ich ein politischer Mensch und nehme an politischen Auseinandersetzungen teil.

Und heute?

Ich bin 66 Jahre und erwarte von den jungen Leuten, dass sie jetzt Gas geben. Ich unterstütze das, was ich kann. Die ganze Bewegung gegen die Neonazis finde ich absolut gerechtfertigt. Nicht alles, aber dass sich Leute dagegen wehren und Widerstand leisten – auch aktiv – das finde ich vertretbar.

Sie meinen mit mehr als Worten?

Nun, das kann man sich eben nicht immer aussuchen. Die Nazis sind auch nicht zimperlich, da ist ruck, zuck die Lippe dick. Ich würde mich in so einer Situation auch wehren.

Sagen Sie das gerade als Politiker oder als Strafverteidiger? Sie vertreten ja Valentin, den linken Ultra, der wegen einer Schlägerei mit einem Hooligan in U-Haft sitzt ...

Das sage ich allgemein, nicht nur als Verteidiger.

Es wäre nicht ihr erstes Verfahren, das eine größere, teils politische Dimension annimmt. Kann sich Ihre Arbeit als Strafverteidiger mit der in der Innendeputation widersprechen?

Wenn eine Interessenkollision entstehen sollte – und gerade bei Valentin könnte das durchaus dazu kommen – werde ich das mit der Fraktion diskutieren. Im Zweifel würde ich das Mandat niederlegen, damit Valentin vernünftig verteidigt wird. Im Moment sehe ich einen solchen Konflikt aber nicht.

Was brachte Sie überhaupt zur Juristerei?

Ich habe erst ein Lehrerstudium begonnen, unter anderem bei Johannes Beck. Dann wurde ich selbst festgenommen, weil ich den reaktionären ZDF-Moderator Gerd Löwenthal geohrfeigt hatte – mein erster Kontakt zur Justiz. Das hat mich beschäftigt. Ich besuchte an der Uni juristische Vorlesungen, damals bei Johannes Feest und Ulrich Preuß. Als ich diesen als Anwalt erlebte, wollte ich auch Strafverteidiger werden.

Bereuen Sie keine Ihrer eigenen politischen Aktionen von damals?

Die 1970er-Jahre kann man nicht mit heute vergleichen. Die Studentenbewegung war tot, die Kommunisten dachten, sie kriegen es mit ihren Parteien hin, und wir dachten, wir nehmen es jetzt selbst in die Hand. Die Einheit von Leben und politischer Arbeit war unser Programm. Wenn wir etwa ein Haus besetzt haben, haben wir darin gewohnt und uns gleichzeitig gegen die Sanierungspolitik im Ostertor gewandt. Ich wohne heute noch in dem damals besetzten Haus – inzwischen haben wir das Haus gekauft und wohnen dort mit 14 Personen als Mehrgenerationenhaus.

Sie wurden vom einstigen Besetzer zum Vermieter und Aufwerter des Viertels?

Da ist schon etwas dran, auch wenn es sich mit dem Vermieten sehr in Grenzen hält. Ich gebe aber zu, ich bin inzwischen etabliert, verdiene mein Geld als Strafverteidiger – mehr als ich vielleicht früher mal gedacht habe. Aber ich arbeite auch mehr als ich gedacht hatte.

Und jetzt der nächste Schritt in die Politik?

Ich plädiere auf nicht schuldig.

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