piwik no script img

Anwältin über obskure Altersschätzungen„Er wollte kein Versuchsobjekt sein“

Anwältin Susanne Besendahl klagt gegen fragwürdige Verfahren zur Feststellung des Alters von Flüchtlingen. Das Grundrecht auf Menschenwürde werde verletzt.

Die umstrittenen Altersbestimmungen von jungen Flüchtlingen sollen jetzt vor das Verfassungsgericht Foto: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau Besendahl, Sie haben im Namen eines jungen Flüchtlings aus Gambia Verfassungsbeschwerde eingelegt. Jugendamt und Gerichte hatten ihm aufgrund eines Sachverständigen-Gutachtens nicht geglaubt, dass er noch minderjährig ist. Auf welches Grundrecht beruft sich Ihr Mandant?

Susanne Besendahl: Vor allem auf die Menschenwürde. Er wollte sich nicht als Versuchsobjekt eines unwissenschaftlich arbeitenden Sachverständigen benutzen lassen.

Versuchsobjekt? Es geht doch nur um die Altersbestimmung.

Mit Röntgenaufnahmen des Handgelenks kann aber das Alter nicht zuverlässig bestimmt werden. Das hat auch schon der deutsche Ärztetag festgestellt.

Der Sachverständige im Fall Ihres Mandanten hat die Standardabweichung bei der von ihm angewandten Methode auf vier Monate beziffert. Ist das nicht einigermaßen genau?

Der Sachverständige hat sich auf eine Studie bezogen, wonach die Standardabweichung für derartige Fälle bei rund vier Jahren lag. Es geht also um Jahre, nicht um Monate! Das war erstens ein schwerer Fehler des Sachverständigen und zeigt zweitens, wie wenig exakt diese Methode ist.

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass eine Kombination verschiedener körperlicher Untersuchungsmethoden brauchbare Ergebnisse liefern kann. Warum hat sich Ihr Mandant weiteren Untersuchungen verweigert?

Weil auch die anderen körperlichen Methoden untauglich sind und eine Kombination von untauglichen Methoden keine brauchbaren Ergebnisse liefern kann. Röntgenuntersuchungen sind wegen der Strahlenbelastung gesundheitsgefährdend. Manche Untersuchungsmethoden sind zudem unethisch und erniedrigend.

Im Interview: Susanne Besendahl

Jahrgang 1962, arbeitet seit 2006 als Fachanwältin für Fami­lienrecht in Freiburg. Im Jahr 2002 absolvierte sie eine Mediationsausbildung.

Zum Beispiel?

Die Untersuchung von Penislänge und Hodenumfang verletzt das Schamgefühl junger Flüchtlinge. So etwas erinnert an die entsetzlichen medizinischen Untersuchungen im Nationalsozialismus. Auch die Prüfung des Gebisses verletzt die Menschenwürde.

Gab es schon einmal eine Verfassungsbeschwerde zur Frage der Altersfeststellung?

Mir ist keine bekannt. Die meisten jungen Flüchtlinge sind auch nicht anwaltlich vertreten.

Hat Ihre Verfassungsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung oder geht es vor allem um Gerechtigkeit im Einzelfall?

Beides. Ich hoffe, das Bundesverfassungsgericht nimmt den Fall zum Anlass, die körperlichen Untersuchungsmethoden zur Altersfeststellung generell für ungeeignet und grundrechtsverletzend zu erklären. Der Fall meines Mandanten ist jedoch besonders, weil die Gerichte auch im Einzelfall willkürlich geurteilt haben.

Warum?

Das Oberlandesgericht nahm Kontakt zur früheren Schule meines Mandanten auf, und der Schulleiter bestätigte dessen Geburtsdatum. Daraufhin hat das Gericht vermutet, dass mein Mandant an seiner Schule jahrelang mit einem falschen Geburtsjahr geführt wurde – nur weil das Datum nicht zu dem obskuren Sachverständigen-Gutachten passte.

Lehnen Sie es generell ab, Altersangaben von jungen Flüchtlingen zu prüfen?

Nein, ich finde es nachvollziehbar, dass die Behörden nur Flüchtlingen, die tatsächlich minderjährig sind, die besondere Betreuung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gewähren wollen. Soweit man das Alter schätzen muss, finde ich aber nur die psychosoziale Methode vertretbar. Dabei wird anhand von Gesprächen und des Auftretens des Flüchtlings dessen Reifegrad ermittelt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ist doch normal das man nicht mit nur einer Sache rausfinden kann wie Alt einer ist weil jeder Test eine kleine Abweichung hat und es mit allen zusammen die Abweichung viel kleiner ist, mit einer psychosoziale Methode alleine würde es auch nichts bringen gibt genug Leute die mit 25 oder Älter noch wie 18 oder Jünger wirken, das mit den Zähnen ist aber ein Witz, also heißt es jetzt nicht mehr zum Zahnarzt gehen darf weil es gegen meine Menschen würde ist, Untersucht ja mein Gebiss dazu Röntgt er mich vielleicht auch noch.

  • Sorry, aber. Wenn man die grundsätzliche Prüfung nicht in Frage stellt, bleibt die Frage nach der Methode, wie auch Frau Besendahl bestätigt. Nach meinen Erfahrung kann eine hochnotpeinliche psychosoziale Befragung mindestens so entwürdigend sein, wie eine Gebissüberprüfung. Zumal, wer hat dabei die Grenzwerte und Schwankungsbreite festgelegt? Bei den unterschiedlichen Belastungen der Flüchtlinge und den unterschiedlichen Herkunftskulturen? Kann man die Menschenwürde nur an körperlichen, nicht aber psychisch-geistig "Daten" festmachen? Bemühungen um Menschenwürde.

  • da legst di nieder!

    "Das Oberlandesgericht nahm Kontakt zur früheren Schule meines Mandanten auf, und der Schulleiter bestätigte dessen Geburtsdatum. Daraufhin hat das Gericht vermutet, dass mein Mandant an seiner Schule jahrelang mit einem falschen Geburtsjahr geführt wurde – nur weil das Datum nicht zu dem obskuren Sachverständigen-Gutachten passte."