: Anwälte rügen Presse
gewaltjournalismus Vereinigung der StrafverteidigerInnen nennt Berichterstattung zur Sexualstraftaten-Studie einen Skandal
Armin von Döllen, Rechtsanwalt
Scharf kritisiert hat die Vereinigung Bremer und niedersächsischer Strafverteidiger (VNBS) die Medienreaktion auf die IPOS-Studie über Sexualdelikte in Bremen. In den Berichten würden aus den vom Institut für Polizei und Sicherheitsforschung (Ipos) ermittelten Zahlen „auf einen zu laxen Umgang der Justiz mit Sexualstraftätern“ geschlossen und „eine höhere Verurteilungsquote“ gefordert.
Alle Berichte zum Thema seien davon geprägt, dass sie die „mit der Anzeige behaupteten Straftaten“ als echte Vorfälle behandeln, rügte die Anwaltsvereinigung. So suggeriere die Weser-Kurier-Schlagzeile „96 von 100 kommen davon“ deutlich, dass es sich auch bei allen Nicht-Verurteilten um Täter „und nicht lediglich um Tatverdächtige“ gehandelt habe. Aber: auch die taz steige „in den Kanon mit ein“. Eine Verurteilung sei aber „in unserem Lande allerdings in einem rechtsstaatlichen Verfahren nach den Regeln der Strafprozessordnung zu treffen“, stellte der Sprecher der Bremer VNBS-Sektion, Armin von Döllen, klar. Statt eines Skandals beim Umgang der Justiz mit Sexualstraftaten gebe es „einen Skandal in der Berichterstattung hierüber“.
Untersucht hatte das Ipos die Verfahren zu sexueller Nötigung und Vergewaltigung 2012 in Bremen. Von ursprünglich 145 Ermittlungsverfahren, so die Auswertung, waren nur 21 angeklagt, die übrigen aber bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Nur in sieben Fällen kam es zu einer Verurteilung, ein Verfahren war noch offen. Die Gründe für die Einstellungen führt die Studie auch auf: Bei einem Fünftel entsprachen die geschilderten Vorgänge keinem Delikt, in 41 Prozent der Fälle war die Bezichtigung zurückgezogen oder die weitere Aussage verweigert worden. In 13 Prozent waren Spurenlage oder Aussage zu widersprüchlich.
„Eine Anzeige ist die Behauptung einer Straftat“, erinnerte von Döllen an ein Grundprinzip, „sie steht damit noch keineswegs fest.“ Und tatsächlich ist Vorsicht geboten: Auch wenn ein vom Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel aufgrund seiner Erfahrungen in der Opferambulanz behaupteter Trend zum Fake sich durch Studien bislang offenbar nicht erhärten lässt, laut Fachliteratur muss mindestens jedes zehnte angezeigte Sexualdelikt als vorgetäuscht gelten. „Opferschutz besteht sicher nicht in der Erhöhung von Verurteilungszahlen“, mahnt von Döllen. Es müsse um die „Substantiierung des Wahrheitsgehalts von Aussagen tatsächlicher Opfer und im Erkennen von Falschaussagen von vermeintlichen Opfern“ gehen. bes
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