Antiziganismus: Ein Problem, das ständig ignoriert wird
Die neue Bundesregierung weigert sich, die Stelle des Antiziganismus-Beauftragten neu zu besetzen. Was dahinter steckt und warum das schlimm ist.
K einen Monat ist es her, dass der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität vorstellte. Während zu Recht viel Aufmerksamkeit bekam, dass die Fälle rechtsextremer Gewalt in letzter Zeit massiv zugenommen haben, genauso wie die Zahl antisemitischer Taten gestiegen ist, blieb weitgehend unbeachtet, dass auch bei antiziganistischer Gewalt ein Höchststand verzeichnet wurde.
Das ist bezeichnend für ein gesellschaftliches Problem, das ständig ignoriert wird. Doch statt dagegen anzugehen, schafft die schwarz-rote Bundesregierung nun de facto das Amt des Antiziganismus-Beauftragten ab. Zwar spricht das beim zuständigen Familienministerium niemand so klar aus, stattdessen heißt es nur, die derzeit vakante Stelle werde nicht nachbesetzt. Aber der Effekt ist derselbe. Eine verheerende Entscheidung.
Antiziganismus zieht sich durch die Gesellschaft. Er findet sich auch in Milieus, in denen andere Formen des Rassismus oder Antisemitismus weitgehend tabuisiert sind. Formen nimmt er an in offener Gewalt, in struktureller Benachteiligung, in herabwürdigenden Medienbeiträgen, verächtlichen Sprüchen oder diskriminierenden Polizeipraktiken. Und er hat eine lange, tragische Tradition. Nazideutschland und seine Helfer ermordeten während des Zweiten Weltkriegs rund 500.000 Sinti*zze und Rom*nja in Europa.
Dieser Genozid ist bis heute nicht gut erforscht und ist vielen Menschen noch nicht einmal bekannt. Wie wichtig die deutsche Gesellschaft die Erinnerung daran nimmt, erkennt man am Umgang mit dem Mahnmal für diese Verbrechen in Berlin. Für den Ausbau einer S-Bahn-Strecke sollte der erst vor wenigen Jahren eröffnete Erinnerungsort in Berlin weichen. Erst nach massivem Protest wurden die Pläne etwas entschärft, es ist aber weiterhin vorgesehen, dass Teile des Mahnmals zur Baustelle werden.
Es war ein Hoffnungsschimmer
Die Einsetzung eines Antiziganismus-Beauftragten vor drei Jahren war da ein Hoffnungsschimmer. Endlich hat die Bundespolitik erkannt, wie wichtig das Thema ist, so konnte man denken. Sogar die Union hatte schon 2019 im Bundestag der Schaffung einer unabhängigen Kommission zu dem Thema zugestimmt, die dann in ihrem Abschlussbericht die Einsetzung des Beauftragten empfohlen hatte.
Doch inzwischen ist die Stimmung in der Gesellschaft und im politischen Berlin eine andere. Offiziell begründet wird die Abschaffung des Antiziganismusbeauftragten und ähnlicher Stellen mit Bürokratieabbau. Aber es steckt mehr dahinter: Der Schutz von verletzlichen Minderheiten ist der neuen Bundesregierung erkennbar nicht wichtig; ebenso wenig, wenn der Kampf gegen Antiziganismus etwa bedeuten würde, Fragen nach der Rolle der Polizei bei der Diskriminierung zu stellen. Das ist mit einem Bundesinnenminister Dobrindt nicht zu machen, der erst kürzlich einen „Generalverdacht“ gegen die Polizei beklagte.
So wird klar, wohin es beim Minderheitenschutz gehen dürfte: in die falsche Richtung.
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