Antisemitismusbekämpfung an Hochschulen: Ausschöpfen oder erweitern
Niedersachsen will auf antisemitische Vorfälle schneller mit Exmatrikulation reagieren. Bremen kann das längst, andere Nord-Länder warten ab.
Nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin will Niedersachsen also den Hochschulen mehr Handhabe ermöglichen, judenfeindliche An- und Übergriffe zu sanktionieren? Dann hätte sich die Position der rot-grünen Landesregierung zwischen Montag und Freitag um ein entscheidendes Detail geändert: Und zwar in der Frage, ob der bestehende rechtliche Rahmen ausreicht und bloß seitens der Hochschulen auszuschöpfen ist – oder vielmehr doch erweitert werden muss.
Noch am Montag der vergangenen Woche hatte Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) dem Wissenschaftsausschuss des Landtags über die „Rechtslage an niedersächsischen Hochschulen bei Exmatrikulation nach Straftatbeständen“ Auskunft gegeben. Da sah er die Verantwortung noch recht eindeutig bei den Hochschulleitungen: Sie hätten die Pflicht, bestehende rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, „wenn sich Studierende oder weitere Hochschulangehörige gegen die freiheitliche Kultur und ihre Werte richteten“. Dazu könne auch eine Exmatrikulation gehören – unter bestimmten Umständen.
„Wie justiziabel ist Antisemitismus?“ fragt eine Tagung der Evangelischen Akademie im niedersächsischen Loccum in Kooperation mit dem Antisemitismusbeauftragten Gerhard Wegner.
Sprunghaft gestiegen sei die Zahl antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober, erklären die Veranstaltenden. Was zur Anzeige gebracht wird und was strafrechtlich verfolgt, berichten nun Lena Hügel und Andreas Bergemann von der Polizeidirektion Hannover. Über konkrete Urteile spricht der Celler Oberstaatsanwalt Jens Lehmann.
Zivilgesellschaftliche Stellen und die Betroffenen selbst registrieren Vorfälle teils weit unterhalb der Schwelle, die Behörden aktiv werden lässt: Auf dem Podium sitzen so nun auch Katarzyna Miszkiel-Deppe von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias), Michael Fürst, Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden, und Konstantin Seidler, Liberale Jüdische Gemeinde Hannover.
Die Tagung am 22. und 23. 2. ist ausgebucht, es gibt eine Warteliste.
Ministeriumssprecherin Streuer sprach am Freitag dann von einem Mehrbedarf an „Möglichkeiten“ für die Hochschulleitungen: Ausdrücklich auch die Exmatrikulation müsse aus Sicht Mohrs in solchen Fällen rascher möglich werden.
Voraussetzung Verurteilung
Niedersachsens Landeshochschulgesetz (NHG) erlaubt im Moment eine Exmatrikulation, „wenn Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Ablehnung der Einschreibung gerechtfertigt hätten“. Ablehnen wiederum kann die Hochschule Studienbewerber:innen, die rechtskräftig verurteilt wurden „wegen einer Straftat gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit“ – und diese Straftat „eine Gefährdung oder Störung des Studienbetriebes“ vorstellbar macht.
Ähnlich formuliert es etwa das Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern (LHG M-V): „Exmatrikuliert werden können Studierende, die Einrichtungen der Hochschule zu strafbaren Handlungen nutzen oder gegenüber Mitgliedern und Angehörigen der Hochschule strafbare Handlungen begehen.“
Das schließe Straftaten mit antisemitischem Hintergrund ein, sagt der Sprecher des Schweriner Wissenschaftsministeriums, Christoph Wohlleben, „setzt aber natürlich eine rechtskräftige Feststellung einer Straftat voraus. Das entspricht rechtsstaatlichen Prinzipien.“
Dagegen ermöglicht das Bremische Hochschulgesetz (BremHG) eine Exmatrikulation, „wenn Gewalt, Drohungen oder sexuelle Belästigungen oder Diskriminierungen gegenüber Mitgliedern, Angehörigen oder Gästen der Hochschule ausgeübt werden oder wenn Studierende an den genannten Handlungen teilnehmen, dazu anstiften oder mindestens dreimal schuldhaft Anordnungen im Rahmen des Hausrechts zuwiderhandeln“. Darauf fußend könne im Einzelfall eine Exmatrikulation durch Verwaltungsakt geschehen, erklärt Ramona Schlee, Sprecherin der Bremer Wissenschaftssenatorin. Das BremHG definiere Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, das „ausdrücklich eine Diskriminierung wegen der Religion beinhaltet“, so Schlee.
Auch wenn in Niedersachsen bislang keine gewalttätigen Übergriffe bekannt geworden seien, so Streuer: Vorgezogen werden soll dort nun ein Teil einer eigentlich für 2025 vorgesehenen Novelle des NHG. Und wenn von einem „Nachschärfen“ die Rede ist, kann das eigentlich nur heißen: Es wird künftig keine rechtskräftige Verurteilung wegen einer einschlägigen Straftat mehr nötig sein, um einen antisemitischen Gewalttäter der Hochschule verweisen zu können.
Fehlende Sanktionsmechanismen bemängelt am derzeitigen niedersächsischen Gesetz – so wie auch am hamburgischen – die juristische „Handreichung“, die am Wochenende das Berliner Tikvah Institut veröffentlicht hat, eine Art Anti-Antisemitismus-Thinktank, mitgegründet 2020 vom heutigen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck. Das Institut hatte den Juristen Patrick Heinemann „Rechtliche Antworten auf Antisemitismus an Hochschulen“ erörtern lassen.
Über jede Abwägung erhaben?
Interessant ist daran, dass das Papier einen Ausweg anzubieten scheint aus dem zentralen juristischen Problem jeder Gesetzesverschärfung: dass sie potenzielle Eingriffe in die Grundrechte derjenigen bedeutet, denen antisemitische Taten zur Last gelegt werden. Heinemann zufolge rührt aber der Antisemitismus stets an der Menschenwürde. Deren besonderer Schutz durch das Grundgesetz sei „abwägungsresistent“ auch gegenüber anderen Grundrechten: Er hat demnach Vorrang etwa vor der Meinungsfreiheit.
Ausgesprochen vorsichtig reagieren derzeit die zuständigen Landesministerien in diesen Tagen auf Anfragen zum Thema. Was an die Presse geht muss von höchster Stelle abgesegnet werden: Das legt nahe, dass die dort tätigen Jurist:innen die Sache wohl nicht ganz so eindeutig sehen, wie es Tikvah und Heinemann tun.
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