Antisemitismus in der Linkspartei: Den Wahn mit Wirklichkeit füttern
Auf dem Bundeskongress der linken Jugendorganisation Solid kommt es zu einem folgenreichen Beschluss gegen Israel. Ein Hauch stalinistischer Praxis?
M anchmal wünschte ich, ich könnte Ereignisse wie durch ein Fernrohr betrachten: aus sicherer Distanz, um nicht berührt zu werden und die Hoffnung zu bewahren. Als ich von den jüngsten Vorfällen innerhalb der Linken und ihrer Jugendorganisation Solid las, kam mir dieser Gedanke wieder. Was sich dort abspielt, lässt sich kaum noch als Streit unter Genossen beschreiben: Eine Jugendorganisation, die sich einst zur Solidarität mit Israel bekannte, beschloss auf ihrem Bundeskongress einen Antrag, in dem jüdische Selbstbestimmung als „rassistisch“ bezeichnet wird.
Der einzige jüdische Staat, gegründet, auch als Reaktion auf die industrielle Judenvernichtung, wird darin als Projekt mit „kolonialem Charakter“ beschrieben, von seinen „Anfängen bis heute“. Außerdem ruft der Antrag dazu auf, „die revolutionären Bewegungen in der Region“ zur „Befreiung Palästinas“ zu unterstützen. Ob damit auch die von manchen Linken gerne als „Widerstandskämpfer“ verklärte Hamas gemeint ist, bleibt offen. Was ich aber herauslese: Israel war schon immer böse, seine Gründung ein Fehler.
„Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“, so der Titel des Beschlusses. Dabei sollte es bei dieser Mahnung doch um Lehren aus der Geschichte gehen: darum, Antisemitismus und Rassismus zu erkennen, nicht zu relativieren. Doch hört man diesen Gaga-Linken zu, könnte man fast glauben, der 7. Oktober 2023 – das Massaker der Hamas – sei für sie ein nützliches Ereignis gewesen. Endlich ließ sich der alte Wahn mit einer Wirklichkeit füttern. Die israelische militärische Antwort auf Morde, Vergewaltigungen und Geiselnahmen diente fortan als Beweisstück: Jeder tote, zurecht zu beklagende palästinensische Zivilist, diente als vermeintliche Bestätigung der antisemitischen Fantasie vom rachsüchtigen Israeli, Zionisten, Juden.
„Gegen jeden Antisemitismus“ hatte sich die Linksjugend 2015 noch auf die Fahne geschrieben. Davon ist nichts geblieben, eine größere Entfremdung vom eigenen moralischen Kern kaum denkbar. Immerhin hat sich die Parteispitze inzwischen kritisch geäußert, den Beschluss wie auch den Umgangston verurteilt. Gut so. Doch ein klarer Gegenbeschluss blieb aus. Es wirkt, als wolle man die Angelegenheit rasch begraben, bevor auf dem Berliner Landesparteitag die Spitzenkandidatin nominiert wird.
Wer Antisemitismus bei Linken ausfindig machen will, muss nur die Wörter Apartheid, Siedlerkolonialismus, Genozid suchen. Oder beobachten, wie sie mit internen Kritikern umgehen. Die letzten noch aufrichtig gegen Antisemitismus kämpfenden jungen Genossen sollen durch „Säuberungsaktionen“ herausgedrängt werden: In Chatgruppen wird gegen jene gehetzt, die sich nicht klar genug von Israel distanzieren. Wer nicht auf Linie ist, wird zum „Verräter“ oder „Zionisten“ erklärt. Ein Kongressteilnehmer sprach gegenüber dem Tagesspiegel von „Psychoterror aus den eigenen Reihen“. Verwenden hier geistig verwirrte Linke stalinistische Methoden der Feindmarkierung und Verfolgung?
Kritiker, die sich gegen linken Antisemitismus engagieren, gibt es innerhalb der Partei immer weniger. Mehrere Abgeordnete, darunter der langjährige Berliner Landeschef Klaus Lederer, haben die Linke im vergangenen Jahr verlassen – auch wegen des Umgangs mit Antisemitismus. Ihr Weggang hat eine große Lücke hinterlassen.
Für jene, die noch zwischen Kritik und Hass unterschieden können, die ihre Vernunft nicht verloren haben und sich nicht mit pathetisch-hohlen Phrasen von „Befreiungskampf“ und „Widerstand“ zufriedengeben, wird es in dieser Linken zunehmend einsam. Seit dem 7. Oktober ist klarer denn je: Wer sich gegen jede Form des Antisemitismus engagiert, verliert seine politische Heimat.
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