Antisemitismus in der AfD: Zugeraunter Wahn
Der Fall des Abgeordneten Wolfgang Gedeon zeigt, wie die AfD mit Antisemitismus umgeht. Man wägt ab, was im Rahmen des Sagbaren ist.
Der Fall Wolfgang Gedeon ist eigentlich schnell erzählt: Der AfD-Politiker, Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, hat sich in seinen Schriften umfangreich, unmissverständlich und eindeutig antisemitisch geäußert. Das ist, für ein Mitglied eines deutschen Parlaments, für sich genommen bereits ein Skandal.
Der noch größere Skandal ist aber das Verhalten der AfD, mit dem Fall Gedeon umzugehen – und an diesem Verhalten der Partei kann man mehr über den Antisemitismus in der AfD erfahren als schon aus dem, was Gedeon von sich gibt. Denn der Umgang zeigt, wie tief verwurzelt antisemitisches Denken in der AfD ist und warum die AfD zwar programmatisch betrachtet bisher keine explizit antisemitische Partei ist, aber fraglos eine Partei für Antisemitinnen und Antisemiten.
Was hatte Gedeon geschrieben? In einem Buch hatte er geschichtsrevisionistische Neonazis wie Horst Mahler, Ernst Zündel und David Irving als „Dissidenten“ bezeichnet und die Auffassung vertreten, dass sich in der Rechtsprechung „der zionistische Einfluss in einer Einschränkung der Meinungsfreiheit“ äußere.
Für Gedeon arbeiten Juden an der „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden“ mit dem Ziel der Durchsetzung einer „Judaisierung der christlichen Religion und Zionisierung der westlichen Politik“.
Innerer und äußerer Feind des Abendlandes
Gedeon im Wortlaut: „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes […]. Als sich im 20. Jahrhundert das politische Machtzentrum von Europa in die USA verlagerte, wurde der Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form sogar zu einem entscheidenden Wirk- und Machtfaktor westlicher Politik. […] Der vormals innere geistige Feind des Abendlandes stellt jetzt im Westen einen dominierenden Machtfaktor dar, und der vormals äußere Feind des Abendlandes, der Islam, hat via Massenzuwanderung die trennenden Grenzen überrannt, ist weit in die westlichen Gesellschaften eingedrungen und gestaltet diese in vielfacher Weise um.“
So weit, so offensichtlich – aber bevor es im Juli zur rein kosmetischen Spaltung der AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag kam, war die Partei und ihr Führungspersonal händeringend darum bemüht, Expertinnen und Experten zu finden, die etwas statt ihrer zu Gedeon hätten sagen sollen. Die Frage, die Petry und Co. vordergründig umtrieb: Ist das Antisemitismus, was Gedeon vertreten hat? Man kann diese verzweifelte Suche nach Gutachtern, die statt der Partei diese Frage beantworten sollten, als rhetorische Strategie abtun.
Viel naheliegender ist es aber, sie ernst zu nehmen und die Partei dafür in Verantwortung zu nehmen, was sie getan hat. Dann sieht man: Gedeon hat sich in aller Deutlichkeit und Unmissverständlichkeit antisemitisch geäußert und in zahlreichen Facetten antisemitisches Gedankengut von sich gegeben. Dass man nun in der AfD ernsthaft fragte, ob das von Gedeon geäußerte denn überhaupt antisemitisch sei, zeigt, dass man in der Partei offensichtlich den Inhalt der Aussagen selbst nicht für problematisch hielt, sondern sich einen Gesinnungs-TÜV wünschte, der diese Bewertung übernehmen sollte – weil man offenbar selbst mindestens Teile des Weltbildes von Gedeon für unproblematisch hält. Eine andere plausible Erklärung gibt es nicht.
Dieser Umgang zeigt zweierlei: Zum einen, dass die AfD selbst jede Verantwortung für ihr eigenes Handeln externalisieren wollte, um nicht die eigenen Kameradinnen und Kameraden zu verschrecken – im Zweifel hätte eben ein Forscher befunden, Gedeon sei Antisemit, aber nicht man selbst; zum anderen, dass der Antisemitismus in der Partei tief verankert ist und die AfD Antisemitinnen und Antisemiten anzieht wie ein Magnet, denn wenn man selbst bei Gedeon nicht zu sehen in der Lage ist, dass seine Äußerungen antisemitisch sind, wo beginnt denn dann für die AfD Antisemitismus? Beim umgesetzten Massenmord?
Die Spitze des Eisbergs
Dass man in der AfD Antisemitismus nicht als solchen erkennt – entweder, weil man nicht einräumen möchte, dass man selbst antisemitische Positionen teilt, oder weil man die, die Antisemitisches äußern, nicht für das in Haftung nimmt, was sie sagen – zeigen zahlreiche andere Fälle. Bei keinem von ihnen wurde klar und unmissverständlich gesagt, dass es sich um Antisemitismus handelt. Man hat stattdessen inhaltliche Distanzierungen unterlassen, weshalb Gedeon auch nur eine Spitze der antisemitischen Eisberge ist, die immer umfangreicher in der AfD sichtbar werden.
Bereits 2015 hatte der AfD-Lokalpolitiker Gunnar Baumgart aus Bad Münder die nazistischen Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugner Ernst Zündel, Germar Rudolf und Fred Leuchter verteidigt und auf Facebook einen Artikel verlinkt, der behauptete, dass „kein einziger Jude“ durch „Zyklon B oder die Gaskammern umgekommen“ sei. Baumgart, der betonte, dass, hätte er Kinder, diese „den Geschichtsunterricht in Deutschland nicht besuchen“ dürften, erklärte nach mehreren Strafanzeigen, die gegen ihn gestellt wurden, aus der AfD austreten zu wollen, „um Schaden von der Partei abzuwenden“.
Auch andere Funktionseliten der AfD haben sich antisemitisch geäußert, wie etwa deren hessischer Schatzmeister Peter Ziemann, der 2013 über „satanische Elemente der Finanz-Oligopole“ und „freimaurerisch organisierte Tarnorganisationen“ fantasiert hatte. Oder ihr brandenburgischer Kreistagsabgeordnete Jan-Ulrich Weiß, der den Investmentbanker Jacob Rothschild antisemitisch karikiert hatte. Oder der nordhessische AfD-Kreistagsabgeordnete Gottfried Klasen, der dem Zentralrat der Juden die „politische Meinungsbildungshoheit sowie die politische Kontrolle über Deutschland“ unterstellte. Und zuletzt hatte sich im Berliner Wahlkampf der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende Hugh Bronson mit einem die Schoah relativierenden Vergleich exponiert, als er twitterte: „Extreme sind urdeutsch, wie Menschen in Zügen: Entweder Auschwitz oder Refugees Welcome. Beides falsch!“.
Antisemitismus via Suggestivfragen
Kay Nerstheimer, der für die AfD im Wahlkreis Lichtenberg 1 bei der Berliner Landtagswahl das Direktmandat gewonnen hat, vermutet hinter dem Ersten und Zweiten Weltkrieg „Kräfte“, die nun auch einen dritten Weltkrieg verursachen wollen würden und fantasiert die Bundesrepublik zu einer „BRD Treuhandgesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main“, glaubt also an eine Finanzverschwörung. Dass Nerstheimer jetzt bei deren Konstituierung nicht zur AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus gehörte, ist die gleiche verlogene Kosmetik wie bei der Spaltung der Stuttgarter Landtagsfraktion, die medienwirksam inszeniert die Kritik am Antisemitismus der Partei abwürgte, nun aber schon bald offenbar wieder rückgängig gemacht werden soll.
Gedeon selbst übrigens hat, offenbar von jeder Erkenntnis völlig unberührt, nach der öffentlichen Diskussion über ihn noch nachgelegt und einem Kritiker, der seine antisemitischen Äußerungen in der Zeit analysiert hatte und Mitarbeiter beim Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin ist, gefragt, „von welchen nichtstaatlichen Stellen“ dessen Arbeit finanziert werde, denn das würde, so Gedeon, „sicher manchen Leser interessieren“ – dass Gedeon hier die Frage nur antisemitisch stellt, ohne sie selbst zu beantworten, baut auf das antisemitische Suggestivpotenzial. Man muss sich seinen Wahn nur zuraunen, ohne ihn explizit zu nennen.
ist Professor für Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen.
Dass dieser immer öfter und immer deutlicher auch als offener Antisemitismus artikuliert wird, zeigen die bisherigen Beispiele. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann aus der Partei für Antisemiten auch eine dezidiert antisemitische Partei werden wird. Den Weg dahin zeigt die obsessive Bemühung der AfD, NS-Begriffe wie „Volksgemeinschaft“ und „völkisch“ wieder positiv besetzen zu wollen – denn das schließt völkische und antisemitische Vernichtungspolitik der deutschen Volksgemeinschaft nicht nur ein, sondern diese Vernichtung ist die historische Wahrheit der Begriffe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker