Antisemitismus in Rumänien: Blanker Hass
Die Intendantin des Jüdischen Theaters in Bukarest, Maia Morgenstern, wird per Mail mit dem Tod bedroht. Angeblich ist der Absender identifiziert.
Diese unsäglichen Zitate stammen aus einer E-Mail, die am vergangenen Samstag an die bekannte Schauspielerin und Intendantin des Jüdischen Staatstheaters in Bukarest geschickt worden war. Die Morddrohungen wurden zusätzlich mit dem irreführenden Hinweis „Seitens der AUR“ unterzeichnet.
AUR ist die Abkürzung der rechtsradikalen, euro- und coronaskeptischen Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen, die 2020 ins rumänische Parlament eingezogen ist. Der Co-Vorsitzende der Partei distanzierte sich von dem Drohschreiben und erklärte, der Verfasser sei kein Mitglied seiner Organisation und habe in Eigenregie gehandelt.
Maia Morgenstern veröffentlichte das Schreiben auf Facebook und löste damit eine Flut von Kommentaren aus. Kurz darauf reagierte der Regierungsbeauftragte für die Bekämpfung von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, Alexandru Muraru, und forderte die zuständigen Behörden in einem Schreiben, das der taz vorliegt, auf, den Verfasser der Drohungen zu identifizieren und strafrechtlich gegen ihn vorzugehen.
Geheimdienst reagiert nicht
Auch die Behörden reagierten erstaunlich schnell. In einem Kommuniqué, aus dem rumänische Medien am Montag zitierten, hieß es, der Täter sei identifiziert worden. Es handle sich um eine „psychisch gestörte Person“, die mit Hilfe der Polizei und des Rumänischen Nachrichtendienstes (SRI) ausfindig gemacht werden konnte. Eine an den Geheimdienst SRI gerichtete Anfrage sowie das Ersuchen, den Wortlaut des besagten Kommuniqués zur Verfügung zu stellen, blieben unbeantwortet.
Am Montagabend veröffentlichte die rumänische Polizei eine weitere Verlautbarung, wonach der mutmaßliche Täter für 60 Tage unter Polizeiaufsicht gestellt wurde. In dieser Mitteilung fehlen der Hinweis auf eine psychische Erkrankung, die angekündigte Untersuchungshaft des möglichen Straftäters sowie die geheimdienstliche Mitwirkung bei dessen Identifikation.
Inzwischen ist eine zweite Drohmail aufgetaucht, in der Morgenstern als „korrupte“ und „speckige Jüdin“ beschimpft wird, die kein Recht habe, „auf rumänischem Boden“ zu leben. Die Äußerungen sind mit dem Pseudonym „Enola Gay“ unterzeichnet. Enola Gay ist der Name eines der amerikanischen B-29-Bomber, die bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurden.
In zahlreichen Kommentaren rechtsnationalistischer Journalisten und rechtsradikaler Publikationen fand der Vorfall ein breites Echo. In einigen dieser Kommentare wird der Schauspielerin unterstellt, mit der Veröffentlichung der Drohmail versucht zu haben, Rumänien als antisemitisches Land zu verunglimpfen. In weniger vehementen, jedoch verharmlosenden Bemerkungen heißt es, es handle sich um einen bedauerlichen Einzelfall. Von virulentem Antisemitismus könne nicht gesprochen werden.
Gedenkhaus geschändet
Solch bagatellisierenden Behauptungen widerspricht Alexandru Florian, Leiter des Landesinstituts für das Studium des Holocaust in Rumänien. Als das Gedenkhaus des Nobelpreisträgers Elie Wiesel 2018 in Sighet mit antisemitischen Schmierereien geschändet wurde, sei die Tat ebenfalls verharmlost worden, sagte er der taz.
Ähnliche Vorfälle, wie 2019 die Verwüstung des jüdischen Friedhofs in Huşi, wurden unverantwortlichen Jugendlichen zugeschrieben, die keineswegs aus antisemitischen Beweggründen gehandelt haben. Etliche solcher beschönigender Erklärungsbeispiele dienten in den letzten 30 Jahren dazu, die Existenz antisemitischer, holocaustleugnender, rassistischer und fremdenfeindlicher Einstellungen in Rumänien einfach zu ignorieren, zu verniedlichen, zu verneinen oder totzuschweigen.
Dabei sprechen nicht nur die Umfragen, die aggressiv nationalistische Publizistik sowie die sozialen Medien eine ganz andere Sprache. In einer für den Nationalen Antidiskriminierungsrat (CNCD) vor drei Jahren veröffentlichen Umfrage, erklärten 46 Prozent der Befragten, sie hätten kein Vertrauen zu Juden. 21 Prozent lehnten es ab, jüdische Verwandte zu haben und 14 Prozent wollten auch keine jüdischen Freunde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles