Antisemitismus-Vorwurf gegen Studierende: Zwischen Solidarität und Spaltung
Eine Aktion an der Leipziger HGB war als Schutzraum für palästinensische Solidarität gedacht. Jetzt wird sie wegen antisemitischer Parolen kritisiert.
Im Atrium der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) herrscht normalerweise Stille. Am 8. Mai 2024 wurde der HGB-Lichthof durch eine Gruppe Studierender symbolisch in „Bisan's Hof“ umgewandelt, angelehnt an die Journalistin und ehrenamtliche EU-Botschafterin Bisan Owda.
Die Versammlung von HGB-Studierenden und propalästinensischen Aktivistinnen diente der Solidarisierung mit Palästina und sollte als Schutzraum für von Rassismus betroffene Studierende dienen. Zwischen herbeigeschafften Sofas, Tischen und Bannern mit der Aufschrift „All Eyes on Rafah“ aß man zusammen, streamte Vorträge, forderte das Ende eines angeblichen Genozids in Gaza und den Boykott Israels. Die Hochschulleitung selbst beschreibt die Aktion als künstlerischen Arbeitsraum.
In einem kürzlich von einer Gruppe von 11 Alumni und Studierenden der HGB veröffentlichten Brief zeichnete man ein anderes Bild: Die Autor*innen des Briefes berichten von Einschüchterungen und der Verbreitung von antiisraelischer Propaganda und schildern eine Atmosphäre von Angst und sozialer Isolation.
Wer sich solidarisch mit Israel zeige, sehe sich Beleidigungen, haltlosen Unterstellungen und Mobbing ausgesetzt. Einige Studierende könnten ihr Studium deshalb nicht fortsetzen oder beenden, trauten sich nicht mehr in die Hochschule, benutzten nur die Hintereingänge oder betraten das Gebäude nur noch zu bestimmten Uhrzeiten.
Im Brief fragen sie: „Wie ist es möglich, einen offenen Raum zu schaffen, wenn in regelmäßigen Abständen im Lichthof Filme gezeigt werden, die das Existenzrecht Israels leugnen und offen für Bewegungen wie BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) werben?“
Unter dem Info-Material in Bisan’s Hof findet sich vieles, das sich bedenklich finden lässt: Zeichnungen der Comicfigur „Handala“, der zum Symbol des BDS wurde, Werbematerial von MERA25, die am polizeilich verbotenen Palästina-Kongresses in Berlin beteiligt war, Infomaterial von Ramsy Kilani (Marx21, Palästina spricht), der offen die terroristischen Aktionen der Hamas unterstützt, oder ein Film-Screening des PFLP-nahen Chirurgen Ghassan Abu Sitta.
Man steht in Verbindung mit Gruppen wie der Leipziger „Handala“ und „Students for Palestine Leipzig“, die Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah als „Befreiungskämpfer“ stilisieren. Man veranstaltet gemeinsam Film-Screenings, auch personell gibt es bei den Veranstaltungen Überschneidungen.
Es sind nicht die ersten Vorfälle dieser Art. Bereits am 10. Januar lud eine propalästinensische Gruppe zum Sit-in in den Lichthof ein. Beim Frühjahrsrundgang der HGB segelten Flyer mit dem Wunsch einer „besseren Zukunft für alle Menschen from the river to the sea“ auf den Boden des Lichthofs.
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich die Hochschulleitung der HGB den Solidaritätsbekundungen mit Israel angeschlossen. Die Sprecherin der Hochschule betont, dass die Hochschulleitung damit zugleich das Existenzrecht Israels unterstreiche und ihr Gedenken sowie Mitgefühl für die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten ausdrücke, die unter den gewaltsamen Auseinandersetzungen leidet.
Auf Seiten der HGB hat man sich dennoch bei aller Solidarität für Israel entschieden, die Aktion im Lichthof – zeitlich begrenzt und unter Auflagen – zu dulden. Der Weg der HGB: Dialog.
Die Sprecherin des Rektorats betont, man stehe seit Beginn der Aktion im Austausch mit den beteiligten Studierenden, um grenzüberschreitendes Verhalten zu verhindern. In Gesprächen würden Inhalte hinsichtlich ihres diskriminierenden Potenzials diskutiert und problematische Slogans und Darstellungen, wie Flyer-Material mit Landkarten ohne Israel, entfernt. Valerie Enders (Name von der Red. geändert), eine der Verfasser*innen des Briefes, berichtet, dass sie morgens in die Hochschule gekommen sei und auf den Fluren Rufe nach „globalize the Intifada“ gelesen habe.
Intifada, das wird als Aufruf zu antisemitischen Pogromen oder Glorifizierung einer Reihe von palästinesischen Terroranschlägen in Israel gelesen. In einer Mail der Rektorin an eine Studierende heißt es: „Zur Frage der Sicherheit jüdischer Studierender hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass diese sich jenseits verbaler Auseinandersetzungen stellt.“ Der Aufruf zur globalen Intifada: nur eine verbale Auseinandersetzung also?
Einige Dozierende unterstützen Bisan’s Hof oder reagierten machtlos auf die wiedergegebene Hamas-Propaganda. Das habe dazu geführt, dass einige Kommilitonen den Kontakt abgebrochen hätten, so Enders. Vor allem das Nichthandeln der Hochschulleitung habe sie und die anderen Verfassenden des Briefes dazu veranlasst, an die Öffentlichkeit zu gehen.
„Viele persönliche Mails an das Rektorat blieben unbeantwortet“, sagt sie. Damit konfrontiert, antwortete man seitens des Rektorats, dass man allen übermittelten Sachverhalten nachgegangen sei und einige Mails nicht einzeln, sondern in Sammelmails beantwortet würde.
An der Hochschule mit kaum mehr als 500 Studierenden und wo man sich untereinander kenne, habe sich die Handlungsunfähigkeit der Hochschulleitung schnell herumgesprochen, so Enders. Das Klima sei seit dem 7. Oktober angespannt und mache es unmöglich, in den Klassen zu sprechen. Schnell sei man als „Zionistin“ verschrien gewesen.
Wie die Teilnehmer*innen von Bisan’s Hof zu den Vorwürfen stehen, bleibt unklar. E-Mail-Anfragen und Anfragen auf Social Media ließ man gegenüber der taz unbeantwortet.
Bis zuletzt wies ein Aushang in Bisan’s Hof darauf hin, dass man nicht mit Pressevertretern, die „Ärger provozieren wollen“, spreche.
Am 10. Juni, wenige Tage nach dem offenen Brief, löste die Hochschulleitung Bisan’s Hof auf. Für die Zeit nach den Prüfungen plant man gemeinsam mit dem Studierendenrat, im Lichthof einen Sozial- und Diskursraum einzurichten. Letzte Woche posteten die Initiator*innen von Bisan’s Hof auf Instagram, die Anweisung, Bisan’s Hof zu räumen, käme vom Bildungsministerium des Landes Sachsen.
Um die Rektorin der HGB vor möglichen staatlichen Reaktionen zu schützen und davor, dass die Polizei „unsere Schule mit ihren schmutzigen Schuhen betritt“, so das Statement, habe man sich dafür entschieden, das in der Parkanlage Lennéanlage entstandene studentische Protestcamp als „sichereren Ort für freie Rede zu wählen“.
In den Klassen allerdings gehe die Situation weiter, und „wir müssen mit den Organisatorinnen des Protestcamps im Studium fortsetzen, während sie ihre antisemitischen Meinungen in Gesprächen und Klassenchats kundtun“, so Enders.
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