Antisemitische Vorfälle in Deutschland: Neue Wege für alten Hass
Der RIAS-Bericht zeigt, wie universell und wandelbar Judenhass ist. 2020 spielten die Coronaleugner eine unrühmliche Rolle.

E intausendneunhundertundneun antisemitische Vorfälle im Jahr 2020. Die Zahl mag manche Zeitgenossen verblüffen – sind es wirklich so viele? Dabei weiß jeder, der sich mit dem Bericht des Bundesverbands RIAS näher beschäftigt, dass diese Zahl noch viel zu niedrig ist, weil die Datengrundlage tiefe Löcher aufweist. Diese Zahl ist auch deswegen so hoch, weil eben nicht nur die Fälle genannt werden, die strafrechtliche Konsequenzen oder wenigstens Ermittlungen zur Folge haben. Anonyme Hassbotschaften lassen sich eben kaum verfolgen, wie auch abgerissene Davidsterne im Hausflur nicht. RIAS verwendet dafür die Kategorie „verletzendes Verhalten“. Die Vorfälle in dieser Kategorie sind, verglichen mit dem Jahr 2019, deutlich gestiegen.
Es sind gerade diese alltäglichen Ausbrüche von Hass und Niedertracht, die den Jüdinnen und Juden das Leben in diesem Land zunehmend schwerer machen. Wer ein- oder zweimal beleidigt wird, mag daraus neue Kraft schöpfen. Wer es zehnmal erfährt, bei dem erlahmt irgendwann die Widerstandskraft, es wächst der Fatalismus – und die Angst. Es existiert keine Skala dafür, wann ein Leben mit dem Hass unerträglich zu werden droht. Aber die Unerträglichkeit ist schon weit gediehen.
Wie universell und wandelbar Judenhass ist, auch das belegen die neuen Zahlen. So nahm der Israel-bezogene Antisemitismus im vergangen Jahr deutlich ab (es fehlte der Anlass). Dafür stiegen judenfeindliche Vorfälle im Zusammenhang mit Verschwörungsmythen stark an – die Coronaleugner lassen grüßen. Realität wird von den Judenhassern jeweils so umgedeutet, wie es gerade passt. Das waren vorgestern die jüdischen Brunnenvergifter, gestern war es der jüdische Kapitalist und Kommunist gleichzeitig und heute sind es die angeblichen Erfinder einer Pandemie. Und morgen? Es besteht keine Hoffnung, dass den Antisemiten nicht eine neue Mär einfällt, mit der sie hausieren gehen. Und es gibt nur geringe Hoffnung, dass die Gesellschaft darauf anders reagiert als mit gut gemeinten Sonntagsreden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links