Antikommunismus nach 1945: Der Giftschrank der Geschichte
Mit Angst Politik betrieben: Der Erforschung des Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik galt eine Tagung in Bonn. Noch immer gibt es weiße Flecken.
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Christoph Kleßmanns vielzitiertes Diktum vom Antikommunismus als der "konsensfähigen Integrationsideologie" der Bundesrepublik datiert zwar bereits auf das Jahr 1982. Einen produktiven Niederschlag in der Historiografie der vergangenen drei Jahrzehnte aber hat dies kaum gefunden.
Die Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik behandeln das Thema als Teil der politischen Kultur allenfalls marginal. Und nur wenige Einzelstudien untersuchten bislang die politische Alltagspraxis sowie deren Folgen
In Königswinter, unweit von Konrad Adenauers langjährigem Wohnsitz, diskutierten von Donnerstag bis Samstag nun 65 Historiker über Bedingungen, Funktionen, Reichweiten, Traditionen und Wirkungen des Antikommunismus - und betraten damit in der Tat "geschichtswissenschaftliches Neuland", wie Stefan Creuzberger formulierte.
Der Historiker von der Universität Potsdam hatte in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) und der Bundeszentrale für politische Bildung zur Tagung "Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik Deutschland" eingeladen.
"Konsensfähige Integrationsideologie"
Dabei sollte es, so Creuzberger, "nicht um eilfertige moralische Verurteilungen", sondern um Kontextualisierung und Historisierung gehen. Der Fokus lag auf einer deutsch-deutschen und nicht allein westdeutschen Perspektive, weil die Veranstalter den Antikommunismus als Bindeglied für eine noch zu schreibende deutsche Verflechtungs- und Verschränkungsgeschichte identifizierten.
Der Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik war keineswegs voraussetzungslos, sondern hatte seine historischen Wurzeln in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. So stellte IfZ-Direktor Andreas Wirsching heraus, dass der Antikommunismus bereits 1933 "konsensfähige Integrationsideologie" gewesen sei.
Das Postulat der "Vernichtung des Marxismus" habe eine enorme politische Mobilisierung bewirkt. Er unterschied idealtypisch einen ideologischen, einen funktionalen und einen empirischen Antikommunismus, musste aber einräumen, dass die klare Grenzziehung mitunter schwerfalle. Und er verwies darauf, dass "außerwissenschaftliche Einflüsse" sowie normative Setzungen der Totalitarismusforschung die Erforschung des Antikommunismus lange behindert hätten und auch der Historikerstreit dieses Feld auf Jahre "überschattet und kontaminiert" habe.
Aggressive Vorsorge
Bernd Greiner stellte systematische Überlegungen zur internationalen Konstellation an und machte die Kategorie der Angst als Argument stark. Aus der Angstlogik heraus müssten Gefahren bekämpft werden, noch ehe sie konkret werden. Dies führe zum Prinzip aggressiver Vorsorge und einem Klima des Misstrauens. Doch wie sehr war die Angst Triebkraft für den bundesdeutschen Antikommunismus? Welche Rolle spielte der Koreakrieg? Inwieweit spielte die CDU-geführte Bundesregierung mit der Angst der Bevölkerung? Wie real war die Furcht der politischen Akteure?
Corinna Franz betonte, dass der Antikommunismus stets das "Grundrauschen der Politik" Adenauers gewesen sei. Darüber hinaus habe er immer wieder, zumal im Wahlkampf gegen die SPD, eine Ad-hoc-Funktion erfüllt. Wiewohl es eine klare Wechselwirkung zwischen der propagandistischen Westarbeit der DDR und dem westdeutschen Antikommunismus gab, sprach Michael Lemke von einer Überreaktion der Bundesrepublik, die zwar stets ihre Überlegenheit betont, aber nie daran geglaubt habe.
Für Stefan Creuzberger gab es keinen Zweifel, dass "perzipierte und tatsächliche Bedrohung" in "keiner Relation" standen. Und er zeigte am Beispiel des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen, dass staatliche Akteure mitunter den Blick dafür verloren, welche Maßnahmen für einen Rechtsstaat vertretbar waren, und sie übersahen, dass der Zweck nicht jedes Mittel heilige. Till Kössler sprach von einer "problematischen Subjektivierung des Strafrechts" und verwies auf die Ängste der politisch Handelnden hinsichtlich der Loyalität der Bevölkerung gegenüber dem neuen Staat.
Metaphern aus der NS-Zeit
Die Tagung war ein notwendiger Anfang, aber es blieben - trotz 19 Referaten - zwangsläufig weiße Flecken. Zu Recht monierte Hermann Wentker in seinem Schlusskommentar, dass keiner der Referenten das KPD-Verbot von 1956 und seine Konsequenzen thematisiert hatte. Berechtigt war auch der Einwand aus dem Plenum, dass mit der Praxis der politischen Justiz stets menschliche Schicksale verbunden waren. Die erfahrungsgeschichtliche Dimension aber, die zumal die Perspektive westdeutscher Kommunisten miteinbezogen hätte, war unterrepräsentiert. Auch eine europäische Vergleichsebene wäre wünschenswert gewesen.
Wie sehr auch die Metaphorik und Semantik des Antikommunismus es verdient hätte, genauer in den Blick genommen zu werden, zeigt ein erschreckendes Zitat von Hans Ritter von Lex, das Wirsching ans Ende seines Vortrags stellte. Am 19. März 1933 notierte von Lex über die Koalitionsgespräche der Bayerischen Volkspartei mit Adolf Hitler, seine Partei sei "mit der Niederringung des Marxismus" einverstanden.
"Hinsichtlich des Kommunismus" könne die BVP "in weitestgehendem Maße mitgehen. Dass man das deutsche Volk auch unter Anwendung strengster Methoden von dieser Verseuchung befreie, sei gemeinsame Forderung aller vaterländisch gesinnten Kreise." Der Sozialdemokratie gegenüber solle man aber "weniger die physische Ausrottung als die geistige Überwindung anwenden".
Hier lässt sich der Zeitbogen in die fünfziger Jahre ziehen: Als Staatssekretär im Bundesinnenministerium war von Lex federführend im Verbotsverfahren gegen die KPD. In seinem Schlussplädoyer vor dem Bundesverfassungsgericht erklärte er in ungebrochen biologistischem Vokabular, die Partei sei "ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet".
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