Antidiskriminierung in Berlin: „Wir müssen Dinge verbessern“
Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, sieht Berlin als Vorreiter im Bereich Antidiskriminierung. Doch nicht alle in Berlin schätzen die Vielfalt.
taz: Frau Kapek, wegen des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) wollten Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und mehrere Landesinnenminister keine Beamten mehr zur Amtshilfe nach Berlin schicken. Jetzt soll das Gesetz nur auf Berliner Polizisten angewendet werden. Hätten Sie gedacht, dass das Gesetz so einen Ärger macht?
Antje Kapek: Ich bin da ganz entspannt. Die Drohung stand bisher jedes Mal im Raum, wenn Berlin die Bürger*innen- und Freiheitsrechte gestärkt hat. Als wir die Kennzeichnungspflicht für Beamte eingeführt haben, hieß es dasselbe – nichts ist passiert. Das Gesetz wird nicht geändert, Innenminister Geisel hat lediglich klargestellt, dass nur das Land Berlin haftet. Und selbstverständlich gilt es auch für auswärtige Beamte, die hier in Amtshilfe agieren. Hätten seine Amtskollegen das Gesetz gelesen, hätten sie sich die ganze Aufregung sparen können.
Statt das Antidiskriminierungsgesetz als “Misstrauensvotum“ oder gar als Diskriminierung von Polizistinnen und Polizisten zu verunglimpfen, lade ich die Innenminister ein, es vielmehr als einen Ausdruck von Vertrauensbildung zu verstehen. Die anderen Bundesländer sollten lieber nachziehen, anstatt es zu bekämpfen. Ein besserer Schutz vor Diskriminierung sollte nicht nur in Berlin gelten, sondern bundesweit. Ich denke aber ohnehin, das LADG wird für unsere Polizei gar keine großen Auswirkungen haben.
Ach nein?
Ich glaube, es wird vor allem dort bedeutend, wo es einen großen Publikumsverkehr zwischen Verwaltung und Bevölkerung gibt. In Schulen geht es zum Beispiel oft um Fragen wie: Warum wird mein Kind nicht an dieser Schule aufgenommen oder warum bekommt es bei gleicher Leistung schlechtere Noten? Auch so etwas adressiert das LADG. Die Idee ist ja nicht, Verwaltungsmitarbeiter*innen und Dienstkräfte des Landes zu maßregeln, sondern es als Evaluationsinstrument zu nutzen, das offenlegt, wo man noch nachsteuern muss, damit das Handeln der öffentlichen Hand gegenüber allen Bürger*innen diskriminierungsfrei ist.
Angenommen auf einer erneuten Black-Lives-Matter-Demo kommt es zu Vorfällen, wie sie vom letzten Mal berichtet wurden: etwa dass Polizist*innen schwarze Jugendliche mit polizeikritischen Demoschildern festnehmen, ihre weißen Freund*innen aber in Ruhe lassen. Ein Fall fürs LADG?
43, ist seit 2012 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus. Sie lebt in Kreuzberg und hat 2 Schulkinder.
Einen solchen Fall hätte man auch schon vorher untersuchen müssen. Aber ja, auch über das LADG kann man hier für Aufklärung sorgen. Ich habe nach der ersten Black-Lives-Matter-Demo zahlreiche Videos mit Szenen von Polizeigewalt zugeschickt bekommen und den Innensenator um Aufklärung gebeten. Es hieß, es würden Ermittlungen zu diesen Einzelfällen angestellt werden. Wir werden als Grüne hier auf parlamentarische Aufklärung drängen.
Um die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus zu vertiefen, haben die grünen Bezirksverbände Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln kürzlich beschlossen, eine Enquetekommission zu fordern. Hat die Idee Chancen im Abgeordnetenhaus?
Ich komme ja aus dem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg und finde die Idee sehr gut. Die Frage ist nur, ob man eine solche Kommission noch in dieser Legislatur einsetzt, wo sie nur noch ein Jahr tagen kann. Oder ob man sich das nicht besser für die nächste vornimmt. Die Idee verbindet sich auch gut mit einem Gedanken, den mein Kollege Benedikt Lux und ich als Reaktion auf Halle und Hanau formuliert haben: ein Meldesystem für diskriminierende Äußerungen und Handlungen im Staatsdienst. Darüber könnte man in einer Enquete mit Expert*innen diskutieren. Bis dahin hätte man vielleicht auch genug Erfahrungen mit dem LADG gesammelt, das Verbot von Racial Profiling durch das neue Polizeigesetz gestärkt und womöglich sogar den Begriff der “Rasse“ aus der Landesverfassung gestrichen – das ist lange überfällig. So könnte man mit einer Kommission endlich ans Eingemachte gehen.
Wie meinen Sie das?
Was mich interessiert, ist ja nicht die Proklamation einer Haltung, sondern wie man konkret Dinge verbessern kann. Wir müssen an die Institutionen und Strukturen ran. Berlin nimmt bei der Antidiskriminierung eine echte Vorreiterrolle ein: Wir stellen viel Geld für antirassistische und Antidiskriminierungsprojekte bereit, für die kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, wir bauen die Beschwerde- und Beratungsstellen aus, wir richten die Stelle eines unabhängigen Polizei- und Bürgerbeauftragten ein, und wir haben das erste Landesantidiskriminierungsgesetz beschlossen. Aber es gibt eben immer noch viel zu viel Alltagsrassismus und strukturelle Diskriminierung. Das finde ich unerträglich und sehe es als unsere Pflicht, hier weiter zu kämpfen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen weiter zu stärken. Nur wird die praktische Arbeit, je kleinteiliger und genauer man wird, immer mühsamer. Darum finde ich diese Enquetekommission so gut.
Aber nicht jetzt, sondern irgendwann?
Wir werden nach der Sommerpause mit unseren Koalitionspartnern darüber reden, ob das auch sofort machbar ist. Aber wenn nicht, dann ist das Thema zu wichtig, um es durch einen Schnellschuss zu verbrennen. Man sollte auch bei den kommenden Koalitionsverhandlungen großen Wert darauf legen, dass es hier weiter vorangeht – etwa indem man Antidiskriminierung an Schulen mehr in den Blick nimmt.
Wieso gerade dort?
Ich höre, auch von meinen eigenen Kindern, immer wieder, dass Schwarze Kinder in der Schule gemobbt werden. Wenn man dann nachfragt, kommt man irgendwann auf die Hautfarbe. Das ist natürlich schockierend. Zu viele Kinder erfahren offenkundig von klein auf rassistische Ausgrenzung – das wird sie ihr Leben lang prägen.
Und die Lehrer*innen?
Die sind oft sehr engagiert, aber ihnen fehlen die Mittel, die Ausbildung und die Zeit, um antirassistische Aufklärungsarbeit zu leisten. Manchmal wird empfohlen, dass Lehrer*innen erst mal ein Diversity-Training machen sollen. Das ist natürlich richtig, aber so vergeht im Zweifel noch mal ein Jahr, und einem betroffenen Kind ist noch immer nicht geholfen.
Was folgt daraus politisch?
Wir brauchen nicht nur Trainings in Diversity-Kompetenz und Antirassismusarbeit in der Pädagog*innenausbildung, sondern auch für alle Schülerinnen und Schüler. Etwa indem man jedes Jahr einen Projekttag macht mit Rollenspielen, der Bildung von Diversity-Räten, interreligiösen Konflikttrainer*innen. Kurz: ein Gesamtkonzept gegen Diskriminierung an Schulen. Ich bin in Berlin aufgewachsen und zur Schule gegangen, Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen haben meine ganze Kindheit und Jugend geprägt. Das ist doch traurig: Obwohl Berlin so bunt und vielfältig ist, wird das nicht von allen wertgeschätzt. Stattdessen verinnerlichen viele Kinder Abgrenzung, Ausgrenzung und Herabsetzung schon in der Schule. Das müssen wir dringend ändern!
Ein Baustein für das Beharrungsvermögen von Vorurteilen können Straßennamen sein. Es gab jetzt im Zuge der George-Floyd-Proteste wieder eine Straßenumbenennungsaktion: Die lange kritisierte Mohrenstraße wurde über Nacht zur Georgy-Floyd-Straße umbenannt. Wäre das nicht was?
Ich sage ganz deutlich: Die Straße und der U-Bahnhof müssen umbenannt werden! Ich finde es unerträglich, wie hier der Kolonialismus in eine Wortschöpfung gegossen und Schwarze Anwohner*nnen wie Besucher*nnen dem täglich ausgesetzt werden.
Die Grünen stellen in Mitte den Bezirksbürgermeister. Sind Ihre Parteifreunde an dem Thema nicht so interessiert?
Ganz im Gegenteil. Die Grünen in Mitte haben gegen viele Widerstände die Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel durchgebracht. Bei der M-Straße sind wir dazu gerade in intensiven Gesprächen, und ich bin sehr optimistisch. Politisch wollen alle die Umbenennung – die Frage ist nur, wie man sie am besten umsetzt. Dazu stehen wir auch seit Langem im Austausch mit Initiativen und Verbänden. Persönlich fand ich auch die Aktion mit der George-Floyd-Straße gut. Andererseits fordern Schwarze Aktivist*innen schon lange, die Straße nach Anton Wilhelm Amo zu benennen, dem ersten Schwarzen Akademiker Deutschlands. Und ich als Feministin wiederum fände es schön, wenn man sich auf eine weibliche Namensgeberin einigen würde, um gerade auch die Rolle Schwarzer Frauen in der Berliner Stadtgeschichte sichtbarer zu machen.
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