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AntibiotikaGute Zeiten für Bakterien

Wundinfektionen sind bereits auf dem Vormarsch, Tuberkulose könnte bald folgen. Folge der sorglosen Verschreibung von Antibiotika, die resistente Keime heranzüchtet.

Profiteur sorgloser Antibiotikaverteilung: Tuberkulose Bild: dpa

Im Jahre 2004 wurden allein in Deutschland 40 Millionen Mal Antibiotika verschrieben, 1.600 Tonnen schluckten die Bundesbürger, bekämpften damit schwere Krankheiten und kleine Zipperlein - und leisteten oft auch einer zunehmenden Resistenz gegen das vermeintliche Allheilmittel Vorschub.

Schon vor neun Jahren hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die zunehmende Unwirksamkeit der Bakterienkiller zu einem der dringlichsten Gesundheitsprobleme der nächsten Jahre erklärt. Doch die Resistenzprobleme nehmen immer noch zu. Ein gemeinsames Symposium des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit (LGL) und bundesweiten Facheinrichtungen wie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft hatte am Donnerstag in München vor allem diese Resistenzentwicklungen bei den Antibiotika im Blick.

In deutschen Krankenhäusern sind mittlerweile zwei von drei Keimen gegen mindestens ein Antibiotikum resistent. Und einer der schlimmsten unter ihnen, Staphylococcus aureus, unter anderem Verursacher von lebensbedrohlichen Wundinfektionen, steigerte seine Widerstandskraft gegenüber Standardantibiotika von 8 (1997) auf 38 Prozent (2005). Angesichts solcher Zahlen warnte das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) in München, dass die Arzneimittelforschung nicht mehr in der Lage sei, mit der Ausbreitung von Resistenzen Schritt zu halten. Man müsse mit einer Wiederkehr eigentlich bereits besiegter Krankheiten rechnen, wie etwa Tuberkulose.

"Antibiotika-Resistenzen sind mittlerweile keine Wissensfrage mehr, sondern eine Verhaltensfrage", meinte auch LGL-Chef Volker Hingst im taz-Gespräch. Der habilitierte Hygieniker wies darauf hin, dass es für Mediziner mittlerweile genaue Leitlinien zum richtigen Einsatz von Antibiotika gibt. "Und als Patient sollte man entsprechend den Arzt nicht zum Verschreiben solcher Mittel nötigen - gerade bei kleinen Zipperlein oder Viruserkrankungen sind Antibiotika meist nicht sinnvoll."

Mit jeder unnötigen Anwendung steigt die Zahl der Bakterien, die sich an ihren jeweiligen Gegner, das Antibiotikum, anpassen. Zwar gibt es verschiedene Wirkstoffklassen, aber Bakterien reagieren schnell. So gibt es auch bei uns inzwischen methicillin-resistente Staphylokokken, bekannt unter dem Kürzel MRSA.

"Infektionen mit solchen Bakterienstämmen sind im Extremfall mit keinem Antibiotikum mehr therapierbar", warnte das BfR. Teilweise versage auch Vancomycin, ein sogenanntes Reservemedikament.

Ein anderes Ergebnis der Münchner Tagung: Resistenzen im menschlichen Umfeld scheinen vor allem durch falsche und überzogene Anwendung zu entstehen, weniger durch Wechselwirkungen zwischen Tier, Lebensmittel und Mensch. Zwar werden an Tiere große Mengen Antibiotika verfüttert, 2005 waren es in Deutschland 784 Tonnen. LGL-Präsident Hingst warnt daher vor Hysterie: "So große Resistenzüberträge zwischen den drei Untersuchungsgruppen wie gedacht gibt es wohl doch nicht."

13.000 Proben aus Bayern - Milch, Fleisch, aber auch Abstriche und Blutproben von Nutztieren, Haustieren und natürlich von Menschen - hat sein Institut in den letzten Monaten untersucht. Zehn Bakteriengattungen hatten die Wissenschaftler dabei im Blick.

Abhängig von der Gattung wurde an einer Probe die Wirksamkeit von bis zu 32 unterschiedlichen Antibiotika geprüft. Bei Lebensmitteln stellte das LGL unabhängig von der Bakteriengattung deutlich niedrigere Resistenzraten fest als bei tierischen oder menschlichen Proben. Die höchsten Resistenzen beim berühmten Darmbakterium E. coli hatten übrigens Proben von Rindern, gleich danach kommen Proben von Patienten aus Krankenhäusern mit Maximalversorgung.

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4 Kommentare

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  • IR
    Inga Richter

    Hallo.

     

    Ich habe dasselbe Thema recherchiert und dieselben Zahlen gefunden wie Herr Hägler.

     

    Letztendlich ist es doch so, Journalisten wissen einiges, recherchieren anderes und den Rest entnehmen sie (innerhalb der Recherche) den Pressemitteilungen, die uns eigens für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Aussagen darf sich der Journalist verlassen ? auf nichts anderes.

     

    Ich denke, dem Anspruch auf zeitnahe Berichterstattung könnte nicht genüge getan werden, wenn in Zukunft ein Journalist verschiedene Pillen verschiedener Anbieter abwiegen würde, um anschließend auszurechnen, ob der Mittelwert stimmen kann, oder wenn er die gesammelten Apotheken Deutschlands anrufen und erfragen würde, ob die Zahl 40 Millionen überhaupt stimmt oder wenn er gar selbst in ein einschlägiges Labor fahren und via Elektronenmikroskop untersuchen würde, ob es Resistenzen überhaupt gibt. Oder...

    Woher wissen wir denn eigentlich genau, dass es Bakterien gibt?

    Hat jemand erforscht und uns allen gesagt.

     

    Soll nicht heißen, dass der Leser nicht kritisch hinterfragen dürfte oder gar sollte!!!

     

    Soll nur heißen, dass das Problem existiert und sich nicht um 1600 oder 400 Tonnen kümmert. Wichtig ist einzig, dass wir Menschen irgendwann am Nullpunkt stehen könnten, wenn uns pathogene Winzlinge auf `s Fell rücken.

     

    Nichts für ungut. Mir hat der Artikel gefallen.

     

    Herzliche Grüße

     

    Inga Richter

  • IR
    I. Richter

    Hallo.

     

    Ich habe dasselbe Thema recherchiert und dieselben Zahlen gefunden wie Herr Hägler.

     

    Letztendlich ist es doch so, Journalisten wissen einiges, recherchieren anderes und den Rest entnehmen sie (innerhalb der Recherche) den Pressemitteilungen, die uns eigens für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Aussagen darf sich der Journalist verlassen ? auf nichts anderes.

     

    Ich denke, dem Anspruch auf zeitnahe Berichterstattung könnte nicht genüge getan werden, wenn in Zukunft ein Journalist verschiedene Pillen verschiedener Anbieter abwiegen würde, um anschließend auszurechnen, ob der Mittelwert stimmen kann, oder wenn er die gesammelten Apotheken Deutschlands anrufen und erfragen würde, ob die Zahl 40 Millionen überhaupt stimmt oder wenn er gar selbst in ein einschlägiges Labor fahren und via Elektronenmikroskop untersuchen würde, ob es Resistenzen überhaupt gibt. Oder...

    Woher wissen wir denn eigentlich genau, dass es Bakterien gibt?

    Hat jemand erforscht und uns allen gesagt.

     

    Soll nicht heißen, dass der Leser nicht kritisch hinterfragen dürfte oder gar sollte!!!

     

    Soll nur heißen, dass das Problem existiert und sich nicht um 1600 oder 400 Tonnen kümmert. Wichtig ist einzig, dass wir Menschen irgendwann am Nullpunkt stehen könnten, wenn uns pathogene Winzlinge auf `s Fell rücken.

     

    Nichts für ungut. Mir hat der Artikel gefallen.

     

    Herzliche Grüße

     

    Inga Richter

  • MH
    Max Hägler

    Sehr geehrter Herr Westphal,

     

    vielen Dank für das genaue Lesen und die Textkritik! Beide Zahlen stimmen für sich genommen, doch die Korrelation ist falsch. 1.600 Tonnen Ant. wurden 2005 in D gesamt verschrieben, das war eine Zahl im Eingangsstatement des Umwelstaatssekretärs Bernhard - und diese Zahl habe ich beim Gegencheck auch bei der GSF (in einer Publikation namens "Antibiotika und Antibiotikaresistenzen" des Infodienstes FLUGS, Stand Jan 07). In der GSF-Mitteilung findet sich auch die Zahl von 40 Mio Rezepten. - allerdings, hier der Dreher, handelt es sich nur um Verschreibungen der gesetzlichen Kassen. (Diese Zahl findet sich im GSF-Report, aber auch in SCHWABE/PAFFRATH: Arzeimittelverordnungsreport. Heidelberg: 2002.) Die Einschränkung auf GKV-Verordnungen habe ich leider uebersehen. Als weiteres Zahlematerial möge die Studie der European Federation of Animal Health dienen, die für 1999 europaweit von 8.500 Tonnen Antibiotika in der Humanmedizin spricht: http://www.ifah.be/Europe/Topics/antibio/ppt/Visby.ppt

    Bleibt weiter die Frage ob Gewichte und Verschreibungen plausibel zusammen passen, kann ich nicht in der Schnelle nicht beantworten. Zu klären wäre, ob die geschätzten 10 Gramm in allen Fällen zutreffen. Ich kann in aller Kürze nur noch folgende Zahl einwerfen: Etwa 15 Antib.-Tagesdosen / 1000 Einwohner vermeldet die Uni Antwerpen in ihrem Antib.-Monitoring (http://www.esac.ua.ac.be/main.aspx?c=*ESAC2&n=21600).

     

    Soweit einmal ein paar Relativierungen und eine Entschuldigung nach nochmaligem Blick auf die Rechercheunterlagen.

     

    Schönen Abend, Max Hägler

  • TW
    Thomas Westphal

    Woher stammt eigentlich die Zahl 1600 Tonnen?

    Wenn 1600 Tonnen Antibiotika geschluckt wurden, nehme ich an: Ohne Verpackung.

    Nehmen wir weiter an, dass pro Verschreibung 10g Tabletten verordnet wurden (die Zahl ist sicher zu hoch), dann hätten wir erst 400 Millionen Gramm, entspricht 400 Tausend Kilogramm, entspricht 400 Tonnen. Damit wäre noch nicht die Zahl von 40 Millionen Verschreibungen hinterfragt.