Anti-Rüstungs-Aktivist Jürgen Grässlin: "Audi ist waffenfrei"
Jürgen Grässlin kämpft seit fast zwei Jahrzehnten gegen die deutsche Rüstungsindustrie. Am Samstag zeichnet ihn dafür die Stiftung für Zivilcourage aus
taz: Herr Grässlin, mit "Zivilcourage" verbindet man etwa damit, bedrängten Menschen in der S-Bahn zu helfen. Sie bekommen von Mitarbeitern Unterlagen aus Waffenfirmen zugespielt. Zeigen die Zivilcourage am Arbeitsplatz?
Jürgen Grässlin: Zivilcourage ist für mich das offene Auftreten gegen Missstände. Informanten aus den Unternehmen müssen anonym bleiben. Sie sind aber enorm hilfreich, um argumentativ gut gewappnet gegen Rüstungskonzerne aufzutreten.
Wer gibt Ihnen die Informationen?
Der 52-jährige Lehrer und Pazifist schrieb Bücher über die deutsche Rüstungsindustrie und Daimler. In Freiburg leitet er das RüstungsInformationsBüro (RIB e. V.). Er ist u. a. Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler.
Viele sagen, dass Waffenexporte notwendig seien, aber eben nicht an Staaten, die Menschenrechte verletzten. Auch wenn die Geschäfte offiziell mit Genehmigung der Bundesregierung getätigt werden.
Was heißt Zivilcourage für Sie?
Zivilcourage leitet sich für mich von Courage, also Mut, und von Rage, also Wut, ab. Ich bin wütend, weil mehr als eine Milliarde Menschen hungert, mehr als 40 Kriege und Bürgerkriege toben. Deutschland ist der weltweit drittgrößte Waffenexporteur, gießt somit Öl ins Feuer dieser Kriege.
Sie bekommen einen Preis, weil Sie gegen Heckler & Koch und gegen Daimler kämpfen.
Daimler ist über seine EADS-Beteiligung der größte Produzent und Exporteur von Großwaffensystemen in Deutschland. Durch einen Schuss aus einer Waffe von Europas größtem Hersteller von Pistolen und Gewehren, Heckler & Koch, stirbt alle 14 Minuten ein Mensch. Wir haben deren Werkstor mit hunderten von Schlössern verriegelt, deren Waffen symbolträchtig zersägt. Zudem habe ich die H&K-Opfer in Somalia und Türkisch-Kurdistan besucht. Es kann nicht sein, dass wir Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie trotz des Tods von Millionen Menschen legitimieren.
Müsste ein Arbeitnehmer von Heckler & Koch aus Zivilcourage kündigen?
In der Waffenstadt Oberndorf ist die Rüstungsindustrie größter Arbeitgeber. Da verstehe ich die, die sagen, ich finde hier keine andere Arbeit. Wer sich ernsthaft ethische Gedanken macht, darf nicht bei H&K - Deutschlands tödlichstem Unternehmen - arbeiten. Beschäftigte dieses Unternehmens müssten fordern, die Produktion zivil umzustellen. Was nicht passiert.
Haben Sie Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp, über den Sie eine Biografie geschrieben haben, je eines Ihrer Bilder von zivilen Opfern deutscher Waffen gezeigt?
Meine Opferbilder stammen vom Einsatz der H&K-Gewehre. Wenn jemand von einem EADS-Helikopter aus der Luft bombardiert wird, kann man den Waffentyp hinterher selten ermitteln. Schrempp war in Gesprächen vor 1998 offen. Danach ging es offenbar nur noch um Profit.
Trotz Ihres Kampfs ändert sich fast nichts, oder?
Das hätte ich Ende der 80er-Jahre gesagt. Seither können wir über die Kritischen AktionärInnen massiven Druck auf Daimler ausüben. Kann sich ein Autokonzern in der Krise weiter den Imageschaden leisten, Deutschlands größter Waffenproduzent zu sein? Ich glaube nicht. Für die Kampagne "Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Rüstungsexporte!" finden wir auch prominente Unterstützer.
Geben Sie mal einen Verbrauchertipp. VW baut doch auch Militärfahrzeuge.
Stimmt, aber VW stellt keine Waffen her. BMW ist lediglich über Rolls-Royce an der militärischen Triebwerkproduktion beteiligt. All das steht in keiner Relation zu den Großwaffensystemen, die Daimler/EADS fertigt.
Zivilcourage heißt Audi fahren?
Audi ist waffenfrei. Abgesehen davon würde ich zivilcouragiert Fahrrad und ICE fahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört