Anti-Rechts-Aktivisten in Jamel: Unsensible Ermittlungen
Nach dem Brandanschlag überprüft die Polizei das Umfeld des Ehepaars Lohmeyer. Die Befragungen bringen das Paar in Misskredit.
![Das Ehepaar Lohmeyer Das Ehepaar Lohmeyer](https://taz.de/picture/751164/14/N1-Jamel-dpa.jpg)
Vor elf Jahren waren die Lohmeyers in den kleinen Ort gezogen, der in den Folgejahren von Rechtsextremen gezielt besiedelt wurde. Bewusst hatte sich das Künstlerehepaar entschieden, in dem „nationalsozialistischen Musterdorf“ zwischen Grevesmühlen und Wismar zu bleiben. Anfeindungen sind sie gewohnt. „Der Brandanschlag war aber eine neue Dimension des Hasses“, sagt Birgit Lohmeyer. Schnell hatten die Ermittler festgestellt, dass der Brand vorsätzlich gelegt worden war.
Die Polizei bat die Lohmeyers, alle ihre Kontakte der letzten 15 Jahre aufzuschreiben. An die 150 Namen kamen zusammen. „Wir fühlten uns da schon nicht wohl“, sagt Birgit Lohmeyer. „Später konkretisierten die Ermittler, dass sie eine Liste mit Personen von uns haben möchten, die uns nicht ganz wohl gesinnt seien könnten“, sagt sie weiter. Erneut folgten sie der Bitte der Polizei.
13 Personen schrieben sie auf, mit denen es mal Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte gegeben hatte. „Aber keinen verdächtigen wir, die Tat begangen zu haben“, sagt Birgit Lohmeyer. Die Liste wurde für die Polizei dennoch zur Verdächtigenliste.
Die Lohmeyers leben im Forsthaus am Ende des Dorfes. Fast alle anderen Gebäude sollen Sven Krüger gehören, einem vorbestraften „Hammerskin“ und Ex-NPD-Kreisabgeordneten.
In der Ortsmitte stand bis 2011 ein Hinkelstein mit der Aufschrift „Dorfgemeinschaft Jamel – frei – sozial – national“. Ein Wegweiser zeigte den Weg nach Braunau, der Geburtsstadt Hitlers.
Auf dem Szeneportal „Mupinfo“ warben die Betreiber 2012 für eine Soli-CD „Jamel scheißt auf den Förster“ für den damals inhaftierten Krüger – eine Anspielung auf das Festival „Jamel rockt den Förster“, das die Lohmeyers veranstalten.
Bei mehreren aufgelisteten Personen überprüfte die Kriminalpolizei Schwerin die Alibis für die Tatzeit. Die Landtagsabgeordnete der Linksfraktion, Simone Oldenburg, wurde per Telefon befragt. Sie dachte erst, es handele sich um einen Scherz. Auch Bernd Kolz, stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Gägelow, und Klaus Hagel, Schatzmeister des örtlichen Kulturvereins Kuso wurden befragt. Kolz ist aktiver Polizist, Hagel pensionierter Polizist.
Alle drei engagieren sich bei Kuso. Der Verein unterstützte zwei Jahre lang das bei den Lohmeyers stattfindende Anti-Rechts-Festival „Jamel rockt den Förster“. Bei dieser Zusammenarbeit kam es zu Unstimmigkeiten.
Einzelne Befragte haben jetzt Anwälte eingeschaltet. Die Polizeimaßnahme scheint auch die Staatsanwaltschaft Schwerin zu irritieren. Über die Anrufe will sie nicht informiert gewesen sein.
„Ich kann nachvollziehen, dass die Polizei in alle Richtungen ermittelt, dass auch unser Umfeld überprüft wird, das ist polizeiliche Routine“, sagt Birgit Lohmeyer. „Die Ermittlungen in dieser unsensiblen Art gefährden jetzt aber unser seit Jahrzehnten aufgebautes Netzwerk.“ Die Aufgeregtheit der Betroffenen versteht sie gut.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen