Anti-IS-Koalition im Irak: US-Luftangriffe töteten viele Zivilisten
Bei jedem fünften Luftangriff gegen den IS sind Unbeteiligte ums Leben gekommen – 31 Mal so oft, wie bisher bekanntgegeben. Das fand die „New York Times“ heraus.
BERLIN taz/afp | Bei Luftangriffen der Anti-IS-Koalition im Nordirak sind offenbar häufiger Zivilisten getötet worden als bisher bekannt. Das berichtet die New York Times. Demnach kamen bei jedem fünften Angriff Unbeteiligte ums Leben – 31 mal so oft, wie die von den USA geführte Koalition angegeben hat. Genaue Zahlen zu zivilen Todesopfern nannte der Bericht jedoch nicht.
Die preisgekrönte Investigativjournalistin Azmat Khan und der Autor Anand Gopal haben nach der Vertreibung der Dischihadistenmiliz „Islamischer Staat“ von April 2016 an 18 Monate lang im Nordirak recherchiert und in der Provinz Niniveh 103 Schauplätze von Luftangriffen untersucht. Es handele sich um die „erste systematische bodenbasierte Stichprobe von Luftangriffen im Irak, seit die neuesten Militäraktionen 2014 begannen.“
Nach eigenen Angaben haben Khan und Gopal und weitere Reporter Hunderte Zeugen vor Ort, Experten und hochrangige US-Militärs interviewt. Die Rehercheergebnisse hat die New York Times nun detailliert veröffentlicht. Khan schreibt besipielsweise: „In den zwei Jahren, die der IS die Innenstadt von Al-Qayyara (…) kontrollierte, gab es 40 Luftangriffe. Bei 13 dieser Luftangriffe starben 49 Zivilisten. (…) In derselben Zeit exekutierte der IS 18 Zivilisten in der Innenstadt von Al-Qayyara.“
Die Reporter erheben schwere Anschuldigungen gegen die US-Regierung. Der Unterschied zwischen den offiziellen Angaben und den Rechergergebnissen sei so hoch, „dass dies der intransparenteste Krieg in der jüngeren amerikanischen Geschichte“ sei. Während einige Zivilisten wegen der örtlichen Nähe zu einem tatsächlichen IS-Ziel den Luftangriffen zum Opfer fielen, sähe es bei vielen anderen Todesfällen so aus, als wären veraltete und fehlerhafte Geheimdienstinformationen dafür verantwortlich gewesen, dass nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden wurde.
Letzte irakische Stadt vom IS befreit
Unterdessen hat die irakische Armee die letzte vom IS kontrollierte Stadt zurückerobert. Regierungstruppen und paramilitärische Einheiten hätten „ganz Rawa befreit“ und auf allen öffentlichen Gebäuden die irakische Flagge gehisst, sagte der General Abdelamir Jarallah am Freitag. Der Einsatz zur Rückeroberung der Ortschaft in der Wüstenprovinz Anbar hatte erst am Morgen begonnen.
Die Kleinstadt Rawa im Euphrat-Tal an der syrischen Grenze war die letzte Stadt im Irak, die noch von den Dschihadisten kontrolliert wurde. Die irakische Armee hatte im Morgengrauen eine Offensive zur Rückeroberung der Stadt gestartet. Das Militär hatte mit einem schnellen Erfolg gerechnet. Die meisten IS-Kämpfer, die sich zuletzt noch in der Stadt aufgehalten hätten, seien bereits zur syrischen Grenze geflohen, sagte ein General.
Leser*innenkommentare
83379 (Profil gelöscht)
Gast
Ohne Bodentruppen die Ziele aufklären sind Luftangriffe ein Stochern im Dunkeln. Ganz genau weis man es nicht. Daz kommt, dass die Berichte die nach Ende des Krieges angefertig werden zumeist unter Verschluss stehen, nicht so sehr wegen der zivilen Opfer sondern weil sie enorme Geldverschwendung zeigen. Die Smart-Bombs kosten zwar viel mehr als normale Bomben machen aber nichts besser.
Dazu kommt im Fall der Amerikaner die Konkurenz zwischen Army (Hubschrauber) und Air Force (Flugzeuge) Hubschrauber sind vermutlich besser geeignet zivile Opfer zu vermeiden aber dafür müsste man offen und ehrlich auswerten und da die Auswertung durch die Air Force erfolg bleibt alles beim Alten.
Dazu kommt natürlich der Umstand, dass man keine Bodentruppen riskieren will.
jhwh
Wäre jetzt interessant, die von der NYT recherchierten Opferzahlen einmal mit der NGO "Iraq Body Count" abzugleichen.
Aber ich finde weder im Artikel noch im verlinkten NYT-Bericht Zahlen für den gesamten Irak.
A. Müllermilch
"Die Reporter erheben schwere Anschuldigungen gegen die US-Regierung."
Völlig unverständlich. Da die USA offensichtlich kein Giftgas eingesetzt haben, muss es sich dann wohl um einen völkerrechtskonformen Kriegseinsatz gehandelt haben.