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Anti-AKW-Bewegung"Zeit der Konsens-Politik ist vorbei"

Nach dem Unfall im AKW-Krümmel hat die Anti-AKW-Bewegung Auftrieb. Sogar die FDP will das AKW abschalten. Dies zeigt, so Aktivist JOCHEN STAY, wie wirksam öffentlicher Druck sein kann.

Anti-Atom-Protest: Bald unter Mitwirkung der Liberalen? Bild: dpa

taz: Herr Stay, die Parteien überbieten sich derzeit mit Atom-Kritik. Selbst die FDP will das AKW Krümmel vom Netz nehmen. Ist die Anti-Atom-Bewegung jetzt überflüssig?

Jochen Stay: Es ist schon amüsant, dass die FDP jetzt plötzlich Grüne und SPD überholt. Denn die beiden Parteien, die uns den Atomkonsens beschert haben, halten ja weiter daran fest. Dann würde Krümmel nicht vor 2017 stillgelegt. Das zeigt auch, warum es eine Bewegung mit radikaleren Positionen weiter braucht.

Die derzeitige Kampagne der Umweltverbände unter dem Motto "Atomausstieg selber machen" wirkt nicht sonderlich radikal. Wie geht es weiter mit dem Ziel "Atomausstieg politisch durchsetzen"?

Das ist kein Widerspruch. Auch die laufende Kampagne dient als politisches Druckmittel und stößt die gesellschaftliche Debatte wieder an. Da gibt es auch ein psychologisches Moment: Wer selbst keinen Atomstrom mehr kauft, ist plötzlich viel freier, politisch gegen Atomkonzerne zu agieren. Auch dadurch trauen sich jetzt in den Parteien manche wieder, über den Atomkonsens hinauszudenken.

Halten Sie es für realistisch, dass er aufgekündigt wird?

Eins ist beim Blick in die Medien offensichtlich: Das durch den Atomkonsens verursachte Stillhalteabkommen wurde auf breiter Front aufgekündigt. Viele Menschen sind genervt, dass die Konzerne sich an den Konsens längst nicht mehr gebunden fühlten. Da war das Verhalten von Vattenfall der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Und wird dieser Stimmungswandel politische Konsequenzen haben?

Wenn Sigmar Gabriel sagt, dass es im Bundestag keine Mehrheit für die atompolitischen Forderungen der Union gibt, arbeitet er ja rhetorisch mit einer rot-rot-grünen Verhinderungsmehrheit. Aber dass diese drei Parteien gemeinsam die AKW-Laufzeiten verkürzen, ist derzeit schwer vorstellbar. Das würde die große Koalition sprengen. Entscheidungen dieser Tragweite werden erst nach 2009 fallen. Die Atomlobby wird sich nicht so schnell geschlagen geben.

Früher galten die Grünen als natürliche Verbündete der Bewegung. Das war durch den Konsens vorbei. Gibt es jetzt wieder eine Annäherung?

Dazu muss auf grüner Seite noch eine Menge passieren. Sie dürfen es sich jetzt nicht so einfach machen und nur einen Deal fordern, dass ältere AKWs schneller vom Netz gehen und neuere dafür länger laufen dürfen. Das würde das Atomzeitalter hierzulande bis 2035 verlängern.

Sondern?

Nötig ist eine klare Abkehr von der Logik des Atomkonsenses. Dieser Vertrag ist einfach denkbar ungeeignet, um der Atomkraft in diesem Land wirklich zu Leibe zu rücken. Die Grünen müssen mit radikalen Forderungen in den Wahlkampf gehen. Auch in der SPD gäbe es dafür viel Unterstützung. Die Zeit der Konsenspolitik ist vorbei.

Welche Möglichkeiten sehen Sie außer der Laufzeitbegrenzung, den Betreibern ihre Atomkraftwerke zu verleiden?

Es gibt viele Hebel: Die Politik kann ökonomischen Druck aufbauen, indem sie die Steuerfreiheit von Uran aufhebt oder die Entsorgungs-Rückstellungen der Konzerne in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt. Sehr schnell wäre ein Ende der Atomstromproduktion erreichbar, indem eine Pflicht zur vollen Haftpflichtversicherung für die AKW eingeführt würde. Oder durch geänderte Entsorgungsregeln nach dem Motto: Nur wer ein sicheres Endlager vorweisen kann, darf strahlende Abfälle produzieren. Wichtig ist auch die öffentliche Debatte: Wenn die Atomenergie das Image der Stromkonzerne so ruiniert wie bei Vattenfall geschehen, werden diese sich schneller zurückziehen, als sich das heute viele vorstellen können.

Wagen Sie eine Prognose: Wie viele AKWs werden bis zur Bundestagswahl stillgelegt?

Nach den Reststrommengen, die im Atomkonsens festgelegt sind, sollten es vier sein: Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel. Die Konzerne wollen das verhindern, indem sie Laufzeiten von neuen auf alte Kraftwerke übertragen, was Gabriel bisher ablehnt. Allerdings besteht die Gefahr, dass die derzeitgen pannenbedingten Stillstände in Biblis und immer wieder auch in Brunsbüttel dafür genutzt werden, die Reaktoren auch ohne genehmigte Laufzeitverlängerung über die nächste Wahl zu retten. Schlimmstenfalls geht bis dahin also gar kein AKW vom Netz. Bestenfalls eine Menge. Es steht und fällt damit, wie sich die öffentliche Meinung weiterentwickelt und wie stark der Druck auf Konzerne und Politik sein wird.

INTERVIEW: MALTE KREUTZFELDT

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