Anschlag von Hanau: Neue Strafanzeige von Familie Kurtović
Bevor die Verjährung droht, tauchen neue Aspekte auf, die zu neuen Strafanzeigen führen. Auch die Politik steht in der Verantwortung.
Berlin tazDer fünfte Jahrestag des Anschlags in Hanau rückt näher – damit auch eine Verjährungsfrist wegen fahrlässiger Tötung. Nun stellte eine weitere Opferfamilie, die Familie von Hamza Kurtović, am Donnerstag eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau wegen fahrlässiger Tötung sowie Strafvereitelung und beantragt die Wiederaufnahme bereits eingestellter Ermittlungsverfahren. Die Anzeige richtet sich gegen verschiedene Akteure, unter anderem Behörden, Polizei und Betreiber der Arena-Bar. Anlass für die Anzeige ist ein kürzlich im Auftrag des Vaters von Hamza Kurtović, Armin Kurtović, erstelltes Gutachten.
Die neue Anzeige beschäftigt sich unter anderem mit der verschlossenen Notausgangstür in der Arena-Bar. Laut der Strafanzeige wurden nicht alle relevanten Beweismittel aus früheren Strafanzeigen berücksichtigt, zudem weist die Anzeige auf neue Erkenntnisse hin. Der Täter hatte in Hanauer Kesselstadt zunächst einen Kiosk im Erdgeschoss eines Wohnblocks betreten und dort Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz und Ferhat Unvar erschossen.
Danach hatte er in der direkt neben dem Kiosk gelegenen Bar „Arena Bar“ Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović erschossen. Zuvor hatte er Vili Viorel Păun erschossen, der ihn verfolgt hatte. Überlebende sowie Stammgäste der Arena-Bar hatten nach dem Anschlag mehrfach berichtet, dass den Stammgästen bekannt gewesen sei, dass die Notausgangstür verschlossen war. Dadurch konnten sich die Opfer nicht in Richtung Notausgang bewegen, sondern versteckten sich vergeblich hinter einer Säule in der Bar.
Konkret geht es in der neuen Anzeige um behördliche Mängel, die das Verschließen des Notausgangs in der Arena-Bar nicht verhindert oder nicht genügend geprüft hatten und somit zum Tod der Opfer führten. Zudem hatten Behörden bereits vor dem Anschlag mehrfach mehrere Mangel in der Arena-Bar festgestellt, unter anderem, dass der Notausgang verschlossen war. Trotz dieser Erkenntnis gab es keine behördlichen Maßnahmen, um die Betreiber dazu zu zwingen, den Notausgang offenzuhalten oder den Betreibern der Arena-Bar der Betrieb gänzlich zu untersagen.
Die Strafanzeige wirft zudem den beiden Betreibern der Arena-Bar vor, durch ihr Verhalten den Tod von Hamza Kurtović und anderen Opfern fahrlässig mitverursacht zu haben. Darüber hinaus wird hinterfragt, ob die Polizei dem Betreiber Anweisung gegeben hatte, die Tür verschlossen zu halten. Laut dem Vorwurf mehrerer Gäste sei die Tür auf Anweisung der Polizei versperrt worden, damit bei Razzien niemand durch diesen Ausgang flüchten konnte.
Vorwürfe gegen Beuth und Bouffier
Auch weiteres behördliches Versagen und fehlende polizeiliche Maßnahmen gegen den Täter im Zusammenhang mit fahrlässiger Tötung werden in der Anzeige thematisiert: Der Täter zeigte trotz auffälligen Verhaltens und einer früher diagnostizierten Psychose deutliche Anzeichen einer Gefährdung, besaß trotzdem Schusswaffen. Zudem äußerte er sich auf diversen Online-Plattformen offen gewaltbereit und zeigte insbesondere eine rechtsextreme Gesinnung. All dies hätte, laut der Anzeige, zu einem behördlichen Einschreiten in Form des Entzugs aller waffenrechtlichen Erlaubnisse führen müssen.
In der neuen Strafanzeige geht es unter anderem auch um Strafvereitelung durch die Landespolitik, den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, den damaligen hessischen Innenminister Peter Beuth, den hessischen Verfassungsschutz sowie die Polizei und kommunales Verwaltungspersonal. Ermittlungsbehörden wird vorgeworfen, nicht alle strafrechtlich relevanten Aspekte verfolgt zu haben. Insbesondere Bouffier und Beuth wird vorgeworfen, aus Gründen des Selbstschutzes Versäumnisse und Defizite vertuscht zu haben, die dazu führten, dass eigentlich Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hanau zum Notausgang wegen fahrlässiger Tötung wurden 2021 eingestellt. Ende 2023 lehnte es die Staatsanwaltschaft ab, weitere Ermittlungen zum Notausgang in der Arena Bar aufzunehmen. Zuletzt wurden auch die Ermittlungen der Familie des bei dem Anschlag erschossenen Vili Viorel Păun wegen eines nicht erreichbaren Notrufs wieder eingestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bildungsmesse Didacta
Der AfD keine Bühne geben
Wohnungsnot in Deutschland
Bauen bleibt Luxus
Merkel kritisiert Merz erneut
Ex-Kanzlerin unterschreibt „Oma-gegen-Rechts“-taz
Die Wahrheit
Walversprechen
Nach massiver internationaler Kritik
US-Regierung relativiert Trumps Gaza-Pläne
Trumps Pläne für Gaza
Ankündigung eines Jahrhundertverbrechens