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Anschlag von HanauNeue Strafanzeige von Familie Kurtović

Bevor die Verjährung droht, tauchen neue Aspekte auf, die zu neuen Strafanzeigen führen. Auch die Politik steht in der Verantwortung.

Die Gesichter der Ermordeten – Sedat Gürbüz und Hamza Kurtović – als Graffiti in Hanau (v. l. n. r. ) Foto: Peter Juelich/epd/imago

Berlin tazDer fünfte Jahrestag des Anschlags in Hanau rückt näher – damit auch eine Verjährungsfrist wegen fahrlässiger Tötung. Nun stellte eine weitere Opferfamilie, die Familie von Hamza Kurtović, am Donnerstag eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau wegen fahrlässiger Tötung sowie Strafvereitelung und beantragt die Wiederaufnahme bereits eingestellter Ermittlungsverfahren. Die Anzeige richtet sich gegen verschiedene Akteure, unter anderem Behörden, Polizei und Betreiber der Arena-Bar. Anlass für die Anzeige ist ein kürzlich im Auftrag des Vaters von Hamza Kurtović, Armin Kurtović, erstelltes Gutachten.

Die neue Anzeige beschäftigt sich unter anderem mit der verschlossenen Notausgangstür in der Arena-Bar. Laut der Strafanzeige wurden nicht alle relevanten Beweismittel aus früheren Strafanzeigen berücksichtigt, zudem weist die Anzeige auf neue Erkenntnisse hin. Der Täter hatte in Hanauer Kesselstadt zunächst einen Kiosk im Erdgeschoss eines Wohnblocks betreten und dort Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz und Ferhat Unvar erschossen.

Danach hatte er in der direkt neben dem Kiosk gelegenen Bar „Arena Bar“ Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović erschossen. Zuvor hatte er Vili Viorel Păun erschossen, der ihn verfolgt hatte. Überlebende sowie Stammgäste der Arena-Bar hatten nach dem Anschlag mehrfach berichtet, dass den Stammgästen bekannt gewesen sei, dass die Notausgangstür verschlossen war. Dadurch konnten sich die Opfer nicht in Richtung Notausgang bewegen, sondern versteckten sich vergeblich hinter einer Säule in der Bar.

Konkret geht es in der neuen Anzeige um behördliche Mängel, die das Verschließen des Notausgangs in der Arena-Bar nicht verhindert oder nicht genügend geprüft hatten und somit zum Tod der Opfer führten. Zudem hatten Behörden bereits vor dem Anschlag mehrfach mehrere Mangel in der Arena-Bar festgestellt, unter anderem, dass der Notausgang verschlossen war. Trotz dieser Erkenntnis gab es keine behördlichen Maßnahmen, um die Betreiber dazu zu zwingen, den Notausgang offenzuhalten oder den Betreibern der Arena-Bar der Betrieb gänzlich zu untersagen.

Die Strafanzeige wirft zudem den beiden Betreibern der Arena-Bar vor, durch ihr Verhalten den Tod von Hamza Kurtović und anderen Opfern fahrlässig mitverursacht zu haben. Darüber hinaus wird hinterfragt, ob die Polizei dem Betreiber Anweisung gegeben hatte, die Tür verschlossen zu halten. Laut dem Vorwurf mehrerer Gäste sei die Tür auf Anweisung der Polizei versperrt worden, damit bei Razzien niemand durch diesen Ausgang flüchten konnte.

Vorwürfe gegen Beuth und Bouffier

Auch weiteres behördliches Versagen und fehlende polizeiliche Maßnahmen gegen den Täter im Zusammenhang mit fahrlässiger Tötung werden in der Anzeige thematisiert: Der Täter zeigte trotz auffälligen Verhaltens und einer früher diagnostizierten Psychose deutliche Anzeichen einer Gefährdung, besaß trotzdem Schusswaffen. Zudem äußerte er sich auf diversen Online-Plattformen offen gewaltbereit und zeigte insbesondere eine rechtsextreme Gesinnung. All dies hätte, laut der Anzeige, zu einem behördlichen Einschreiten in Form des Entzugs aller waffenrechtlichen Erlaubnisse führen müssen.

In der neuen Strafanzeige geht es unter anderem auch um Strafvereitelung durch die Landespolitik, den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, den damaligen hessischen Innenminister Peter Beuth, den hessischen Verfassungsschutz sowie die Polizei und kommunales Verwaltungspersonal. Ermittlungsbehörden wird vorgeworfen, nicht alle strafrechtlich relevanten Aspekte verfolgt zu haben. Insbesondere Bouffier und Beuth wird vorgeworfen, aus Gründen des Selbstschutzes Versäumnisse und Defizite vertuscht zu haben, die dazu führten, dass eigentlich Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hanau zum Notausgang wegen fahrlässiger Tötung wurden 2021 eingestellt. Ende 2023 lehnte es die Staatsanwaltschaft ab, weitere Ermittlungen zum Notausgang in der Arena Bar aufzunehmen. Zuletzt wurden auch die Ermittlungen der Familie des bei dem Anschlag erschossenen Vili Viorel Păun wegen eines nicht erreichbaren Notrufs wieder eingestellt.

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5 Kommentare

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  • Unter dem Rechtsausleger Rhein, dessen Vorgängern etwas anhaben zu wollen dürfte schwer werden. Die haben Rhein doch installiert, damit er das verhinder.



    Da müsste größerer Druck erzeugt werden damit ernsthaft untersucht wird.

  • Ich möchte gar nicht ausdenken, was die ganzen Verfahrenseinstellungen bzgl. "dem Staat vertrauen" anrichtet. Liest man eher über autoritäre Staaten ...

  • Es wird Zeit, das Verantwortliche mehr in Haftung genommen werden. Ich denke dabei auch an Behörden und Politiker. Auch die Fälle in Mannheim, Solingen, Aschaffenburg, Magdeburg etc. beinhalten ein Organisationsversagen der Politik und der Behörden und müsste zu Haftung und Verurteilung von entsprechenden Personen führen.

  • Damit niemand bei einer Razzia durch den Notausgang flüchtet?



    Als Polizei würde ich genau dort jemanden Postieren. Dann weiss ich genau wer was auf dem Kerbholz hat.

  • War es nicht auch so, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der PolizistInnen, die am Tatort erschienen, selbst in der rechtsextremen Szene unterwegs waren?



    mediendienst-integ...lags-in-hanau.html



    Man denke an die NSU2.0 Gruppe, die nicht verurteilt wurde. Bis heute nicht.



    In Hessen gibt es ein ziemliches großes Problem, was Rechtsextremismus angeht, und nicht zwar auch in Polizei und Behörden. Dazu hat sich auch Nancy Faeser trotz ihrer näheren Beziehung zu Hessen nie offen geäußert - meines Wissens.



    Ich vermute, aus genau diesem Grund wird auch das jetzt angestrengte neue Verfahren nicht zu einem Ziel kommen.