Anschlag in Australien: Die möglichen IS-Verbindungen der Sydney-Attentäter
Die mutmaßlichen Attentäter vom Bondi Beach waren im November wohl in den Südphilippinen, wo die IS-Terrormiliz aktiv ist. Das ist über die Hintergründe bekannt.
Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die mutmaßlichen Attentäter von Sydney Verbindungen zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hatten. Sie dürften nicht nur zu ihrer Tat vom IS „inspiriert“ worden sein, wie dies Australiens Polizeichefin Krissy Barrett am Dienstag erklärte, sondern waren womöglich sogar dafür angeleitet und trainiert worden. Ein 50-jähriger Vater und sein 24-jähriger Sohn hatten am Sonntag am berühmten Bondi Beach 15 Menschen erschossen, die dort das jüdische Lichterfest Chanukka feierten.
Die philippinische Einwanderungsbehörde bestätigte am Dienstag, dass die beiden am 1. November gemeinsam in das südostasiatische Land ein- und am 28. wieder ausgereist seien – 16 Tage vor dem Attentat. Ihr Reiseziel sei die Großstadt Davao auf der südlichen Insel Mindanao gewesen. Der Vater sei mit einem indischen, der Sohn mit einem australischen Pass gereist.
Nach Medienberichten prüfen die australischen Ermittler nun die Gründe der Reise und den genauen Aufenthaltsort. Unter Berufung auf ungenannte australische Sicherheitskreise berichtete der Sender ABC, die mutmaßlichen Täter hätten dort eine „militärnahe Ausbildung“ erhalten.
Davao grenzt an mehrheitlich von Muslimen bewohnte Gebiete. Seit 1970 kommt es im Süden der Philippinen immer wieder zu bewaffnetem Widerstand der Moros genannten Muslime gegen die Zentralregierung in Manila. Sie lockte christliche Siedler nach Mindanao. Die dortigen Muslime wurden schon zur US-Kolonialzeit wirtschaftlich marginalisiert und ihr Widerstand immer wieder gewaltsam unterdrückt.
Befriedung und Radikalisierung muslimischer Rebellen
Ab 1970 kam es zum bewaffneten Aufstand. 1976 ließ sich die bis dahin führende MNLF auf Autonomieversprechen ein. Das führte zur Abspaltung der MILF, in der auch eine andere Ethnie dominiert. Zugleich degenerierten Moro-Kämpfer auch zu kriminellen Banden. Ab 1991 kamen philippinische Mudschaheddin aus Afghanistan zurück und gründeten die islamistische Terrorgruppe Abu Sayyaf mit den Hochburgen Basilan und Jolo südlich von Mindanao.
Das Bekenntnis zum Terrornetzwerk al-Qaida wie auch Enthauptungen waren zwar auch eine Methode, bei Erpressungen den Preis hochzutreiben. Doch wurden bei Abu Sayyaf schon 1995 Pläne entdeckt, gekaperte Linienflugzeuge für Anschläge zu verwenden, wie dies später die Attentäter vom 11. September 2001 auf das World Trade Center machten. Zu diesen sind auch Verbindungen belegt wie auch zur indonesischen Terrorgruppe Jemaah Islamiyah. Sie ist für den Anschlag in Bali 2002 mit 202 Toten verantwortlich.
Ab 2014 erklärte die nach verlustreichen Entführungsfällen geschwächte Abu-Sayyaf-Gruppe dem IS ihre Treue. Der IS steht in Konkurrenz zu al-Qaida. Auch andere Splittergruppen wie die Maute-Gruppe aus der Provinz Lanao del Norte oder die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) aus Maguindanao bekennen sich heute zum IS, während die einst dominierende MILF nach ihrem Frieden mit der Regierung sogar gegen diese Gruppen vorging.
Im Mai 2017 griffen Abu Sayyaf und Maute die 200.000-Einwohnerstadt Marawi an. Sie kontrollierten fast fünf Monate lang einen Großteil der Stadt, die bei der Rückeroberung durch die Armee stark zerstört wurde. Mehr als 1.200 Menschen starben, Zehntausende flohen.
Abu Sayyaf und Maute sind weiter eine Gefahr, wie die International Crisis Group schon 2002 feststellte, auch wenn sie schwächer als früher sind. Maute nannte sich in Dawlah Islamiyah um, soll aber ab 2023 wieder stärker geworden sein. Zwar hielt das Friedensabkommen mit der MILF und die Regierung reformierte ihr Autonomieprogramm, sie hat aber weiterhin nicht die volle Kontrolle über die Region. Deshalb ist es gut möglich, dass sich die mutmaßlichen Attentäter dort aufhielten.
Fragen an die australischen Behörden
Verbindungen zum IS legen zwei selbstgemachte IS-Fahnen nahe, die laut Australiens Premier Anthony Albanese im Auto der mutmaßlichen Attentäter gefunden wurden. Die Behörden müssen sich fragen lassen, wieso der Vater, der beim Polizeieinsatz am Sonntag getötet wurde, sechs Schusswaffen besitzen durfte.
Über den schwer verletzen Sohn sind Videos aufgetaucht, wie er schon mit 17 Jahren in Westsydney radikal-islamistische Reden schwang. 2019 soll der Geheimdienst Asio mögliche Verbindungen des Sohnes zu einer IS-Terrorzelle untersucht haben, was nach sechs Monaten eingestellt wurden, räumte Albanese ein. Auch soll der Sohn Kontakte zu einem radikalen Prediger gehabt haben, der als geistlicher Führer eines Pro-IS-Netzwerkes galt. Die Regierung ist inzwischen mit Forderungen nach einer Untersuchungskommission konfrontiert.
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