piwik no script img

Anschlag auf Buchladen in TripoliBücherverbrennung im Libanon

In einer Buchhandlung in der libanesischen Stadt Tripoli sind zahllose Bücher in Flammen aufgegangen. Die Empörung ist groß.

Bücher als Opfer von Glaubenskriegen: Eine Frau inspiziert den Bestand in der attackierten Buchhandlung. Bild: ap

TRIPOLI ap | Die vermummten Männer kommen in der Nacht, brechen die Vordertür auf und legen Feuer. Die Flammen zerstören tausende Bücher – sie werden ein Opfer der religiös motivierten Spannungen im Libanon. Denn die Brandstiftung richtet sich gegen den Inhaber des Buchladens, den griechisch-orthodoxen Priester Ibrahim Sarrudsch. Muslime unterstellen ihm, er habe ein islamfeindliches Traktat geschrieben.

Der Anschlag auf die Saeh-Buchhandlung kommt nicht völlig überraschend. Zwei Tage zuvor, am Donnerstag vergangener Woche, betreten bewaffnete Männer den Laden und schießen auf einen Angestellten. Die Polizei habe Sarrudsch einbestellt und ihn gefragt, ob er einen anti-islamischen Text verfasst habe, sagt Nadschat Bitar, ein Verwandter des medienscheuen Priesters.

Sarrudsch, der sich seit Jahren für gute Beziehungen zwischen Christen und Muslimen einsetzt, antwortet laut Bitar, er höre zum ersten Mal von einem solchen Text. Das fragliche Traktat ist bereits mehrere Jahre alt und wurde im Internet veröffentlicht.

Tags darauf warnt die Polizei den Priester, dass Muslime planten, nach dem Freitagsgebet in der nahe gelegenen Moschee gegen ihn zu demonstrieren. Soldaten werden zu Sarrudschs Schutz abgestellt, der Protest verläuft im Sande. Doch am frühen Samstagmorgen brennt die 40 Jahre alte Buchhandlung.

80.000 Bücher konnten gerettet werden

Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit in dem maroden Gebäude kann der größte Teil der schätzungsweise 80 000 Bücher gerettet werden. Bitar zufolge ist offenbar nicht mehr als ein Fünftel der teils antiken und entsprechend wertvollen Werke zerstört. Die kostbarsten Schriften, darunter jahrhundertealte religiöse Manuskripte, bleiben weitgehend unversehrt. Zu ihnen zählen auch 40 Exemplare des Korans in filigraner Handschrift, wie der Buchsammler Maurice Kodeih sagt.

Einen Tag nach dem Brand versammeln sich mehrere Dutzend Menschen in der Gasse vor dem Laden. Ein Panzer der Armee parkt am Ende der Straße, Soldaten laufen herum. Ein junger Mann mit struppigen Haaren kehrt Asche vom Boden, eine Frau mittleren Alters mit Kopftuch hilft ihm. Eine andere Frau trägt verkohlte Bücher hinaus. In den Regalen stehen Werke, wie die „Politische und zeitgenössische Geschichte des Iraks“ oder eine französische Übersetzung des Romans „Orlando“ von Virginia Woolf.

„Die meisten Leute hier kennen den Buchladen nicht“, sagt der 26-jährige Mutas Sallum. Aber die Menschen seien die Kämpfe, Bomben und Überfälle leid. „Wir können nicht mehr still sein.“

Wer hinter dem Anschlag steckt, ist unklar. Sarrudschs Angehörige erzählen, die Eigentümer des Hauses hätten jahrelang versucht, ihn zum Auszug zu bewegen, damit das Gebäude abgerissen werden kann. Sarrudsch selbst erklärt, er wolle nicht zu viel spekulieren. Unabhängig von den wahren Motiven der Täter: Das Beunruhigendste, sagen Anwohner, sei, dass ein Gerücht gezielt verbreitet wurde, um die Brandstiftung zu rechtfertigen.

Angefacht vom Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien, hat die Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten im Libanon zugenommen. Die libanesischen Christen sind zwar nicht direkt involviert, aber die Spannungen scheinen alte Klagen muslimischer Extremisten neu zu beleben, nämlich den Vorwurf, Christen würden den Islam diffamieren.

Gerade in Tripoli mit seiner beträchtlichen christlichen Minderheit ist dies ein heikles Thema. Radikale sunnitische Geistliche beherrschen die Moscheen der Stadt, und ihre Anhänger bilden eine Bastion des militanten Islamismus im Libanon.

In Brand gesetzt, um Zwietracht zu säen

So vermuten erschütterte Anwohner, Muslime wie Christen, dass das Feuer in der Buchhandlung gelegt wurde, um Zwietracht zwischen den beiden Religionsgemeinschaften zu säen. Viele Christen seien schon in den vergangenen Jahren in die christlichen Ortschaften außerhalb von Tripoli gezogen. „Niemand ist mit so einer Situation glücklich“, sagt Amal, eine 46-jährige Christin. Ihren Nachnamen will sie aus Furcht vor den Brandstiftern nicht nennen.

Libanesische Politiker und Wissenschaftler verurteilen den Brandanschlag und bekunden ihre Solidarität mit Sarrudsch, indem sie seinen Laden besuchen. Kulturminister Gaby Layoun hat zugesagt, 1000 Bücher zu spenden.

Sarrudsch sagt, er sei tief bewegt angesichts der Anteilnahme. „Ich danke Gott dafür.“ Der Anschlag habe Menschen zusammengeführt: „Muslime, Christen, vielleicht Atheisten, sie alle sind gekommen, um den Buchladen wieder aufzubauen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die „beträchtliche christliche Minderheit“ war früher mal eine christliche Mehrheit. Das war die Zeit, als Beirut als 'Paris des Ostens' galt. Bis zu den 60er Jahren etwa. Alle Leute schwärmen davon. Man hat sich arrangiert damals, das ging noch, weil zwar allgemein die Weltrevolution exportiert wurde, aber nicht der engstirnige wahhabitische Traum – und der schiitische Musikknochen hat auch noch nicht so gekribbelt.

     

    Wie weit sind wir gekommen, dass Panzer eine Buchhandlung bewachen müssen?