Annette Humpe über ihren 60. Geburtstag: "Die Zahl ist voll fürn Arsch"

Heute wird Annette Humpe 60 Jahre alt, doch das Kind in ihr will weiterspielen. Im Interview spricht die Musikerin über die Kunst, sich das Leben so schön wie möglich zu machen.

Jetzt ist es auch zu spät um jung zu sterben, also: weiterlachen, Annette Humpe! Bild: dpa

taz: Frau Humpe, freuen Sie sich über Ihren Geburtstag?

Annette Humpe: Ich freue mich, auf der Geburtstagsparty meine Leute zu sehen, aber die Zahl 60 ist natürlich voll fürn Arsch - schwer unsexy. Aber jetzt ist es zu spät, um jung zu sterben.

Ignorieren kam für Sie nicht infrage?

Nein. Man muss den Dingen, die einem Angst machen, konfrontativ begegnen, und das mache ich damit, dass ich meinen Geburtstag groß feiere. Dann steht eben überall: Die Frau ist 60, fertig.

Sie selbst haben die Popmusik mal als "Domäne der Jugend" bezeichnet …

… da muss ich gleich mal unterbrechen: Das ist nur ein Strang. Mittlerweile gibt es viele Popmusiker, die so alt sind wie ich oder sogar älter, die Stones etwa. Und die machen immer noch aktiv Musik, und ihr Publikum ist mit denen gealtert. Da hat sich total was geändert in der Gesellschaft.

Sie haben Ihrem Publikum nicht die Chance gegeben, mit Ihnen alt zu werden, weil Sie sich in Ihrer Karriere immer von Projekt zu Projekt gehangelt haben. Warum?

Weil die Spielwiese für mich so viel größer ist, als wenn ich alles selbst gesungen hätte - und darum geht es mir, möglichst viel Platz zum Spielen zu haben. Ich kann mit jungen Künstlern was Wildes machen, mit älteren was Ruhigeres. Dass ich mich im Laufe meiner Karriere auf die Autoren- und Produzentenrolle zurückgezogen habe, hat mir noch mal ganz andere Möglichkeiten eröffnet. Deswegen hat meine Arbeit nicht die Kontinuität wie bei Bands, die irgendwann ihr 18. Album veröffentlichen, immer mit der gleichen Stimme, immer in der gleichen Formation. So bin ich aber nicht. Ich bin nicht so bindungsfreudig. Nach einer Weile langweile ich mich und möchte was ganz anderes machen.

Ihren ersten Auftritt hatte Annette Humpe mit ihrer Schwester Inga unter dem Namen Neonbabies bereits 1979. Den kultischen Ruhm nahm sie mit zu Ideal, die mit "Blaue Augen" einen NDW-Hit hatten. Humpe war auch eng befreundet mit Trio, bei deren Hit "Da, da, da" sie im Background-Chor zu hören ist. 1985 gründete sie mit ihrer Schwester das Duo Humpe & Humpe, produzierte nebenbei Künstler wie Rio Reiser und Heiner Pudelko. Danach war sie fast nur noch als Produzentin tätig. Ab 2004 knüpfte sie mit Ich + Ich an frühere Erfolge an. Aktuell: das "Tribute"-Album "Zeitgeschichte - Das Beste von und für Annette Humpe" (Universal).

Ist diese Verspieltheit ein Geheimnis Ihres jugendlichen Wesens?

Das Kind in mir ist immer da und findet immer neue Sachen im Sandkasten, mit dem es sich beschäftigen kann.

Ihre Schwester Inga, ebenfalls sehr erfolgreich mit 2raumwohnung, wirkt genauso jung und frisch. Woher kommt das?

Inga ist ja auch fünf Jahre jünger. Ich glaube, dass es sich schlicht so erklären lässt: Wir haben Spaß und machen es uns in diesem einen Leben so schön wie möglich.

Gab es auch eine Phase in Ihrem Leben, in der dieser Grundoptimismus gefährdet war?

Ja, als ich 40 wurde zum Beispiel und gerade ein Soloalbum veröffentlicht hatte, das gefloppt war …

obwohl die Kritiker es sehr mochten.

Was willst du machen? Außerdem hatte mein damaliger Freund mich verlassen, und ich hatte mit Jim Rakete und Siggi Loch ein Label gegründet, das auch völlig floppte. Und ich wurde 40, was ich damals steinalt fand. Das war meine letzte große Krise - jetzt mal abgesehen von dem Unfall meines Kindes. Aber das hab ich alles wieder hingekriegt. Dann schwimmt man halt da durch. Krisen gehören zum Leben. Ich hab die dollsten Sachen und Inspirationen aus meinen Krisen gezogen.

Wie genau sind Sie da wieder herausgekommen?

Erst mal weitermachen und dann ein bisschen analysieren, wie es dazu kommen konnte. Ganz oft, wenn was schiefläuft im Leben, richtig schief, dann hat man Signale übersehen, nicht auf seine innere Stimme gehört, man hat Entscheidungen gefällt aus Egogründen und war nicht bei sich. Und das versuche ich zu vermeiden.

Resultierte das damals schon aus Ihrer Beschäftigung mit dem Buddhismus?

Früher hätte ich das nur anders genannt. Ich hatte schon immer einen guten Kontakt zu meiner inneren Stimme. Wenn ich auf die höre, bin ich im Einklang mit meiner Umwelt. Der Buddhismus hat mir nur noch mal eine andere, deutlichere Erklärung für das geliefert, was ich schon immer wusste. Wenn ich angeschlossen bin ans Leben, an den Kosmos, an meine innere Stimme, dann kann mir eigentlich wenig passieren. Die Seele und der Körper, die wissen alles schon.

Die wissen was alles schon?

Die wissen, was richtig für mich ist: dass ich bei mir bleibe, dass ich im Fluss bin.

Dass ich im Fluss bin - ich weiß nicht …

Im Fluss sein hat bestimmt auch was mit Erfahrung und Älterwerden zu tun. Früher hätte ich auch gesagt: Ich schwimme gegen den Strom, ich will überhaupt nicht im Fluss sein. Ich brettere nur dagegen! Dagegen! Dagegen! Das kann auch mal eine Weile gutgehen, da kann auch was entstehen, aber trotzdem muss man ja gucken, ob es sich lohnt. Die Dinge, die ich nicht ändern kann, die muss ich akzeptieren. Es wäre nur Energieverschwendung, mich darüber aufzuregen, dass ich jetzt 60 werde und nicht 40. Das meine ich mit im Fluss sein: Ich nehme das an.

Ist der Buddhismus in solchen Situationen ein Trost für Sie? Oder was tröstet Sie?

Mich tröstet, dass ich lebe, dass ich gesund bin, dass ich meine Kräfte spüre, dass ich was bewegen kann, dass ich Musik machen darf.

Trost für Ihr Publikum spielte bei Ich + Ich, Ihrem sehr erfolgreichen letzten Projekt mit dem Sänger Adel Tawil, eine sehr große Rolle.

Ja, das stimmt. Aber es ist doch so: Wenn man sich verheddert hat in seinem eigenen Leben, dann ist man ja völlig abgeschnitten von der Welt und denkt: Es geht nur mir so schlecht. Nur ich hab Probleme. Und dann ist es doch schön, wenn man durch ein Lied merkt: Andere Leute sind auch durch solche Phasen gegangen.

In Ihrem Song "Schütze mich" heißt es: "Ich wär gern besser, als ich bin. Ist nicht schlimm, ich kriegs nicht hin …"

… mein Kernsatz. Ich würde gern so singen können wie Beth Ditto, kann ich aber nicht. Ich wäre gern 39, bin ich aber nicht. Ich hätte gern so lange Beine wie Nadja Auermann, hab ich aber nicht. Ändern kann ich das nicht, also muss ich meinen Frieden damit machen. Ich kann dafür andere Sachen. Wenn ein Fan mir etwa schreibt, dass ihr Bruder gestorben ist und dass mein Song "Wenn ich tot bin" sie getröstet hat - was will ich denn noch?! Schöner geht es nicht. Jeder Song ist eine Flaschenpost, und wenn ich sehe, dass sie bei den Fans ankommt, bin ich glücklich.

Ist die Pause von Ich + Ich auch eine vom Trösten?

Ich will doch nicht immer nur trösten. Entsprechend lustig war die Zusammenarbeit mit Max Raabe …

mit dem Sie zuletzt eine CD aufgenommen haben …

… das ist ein anderer Sänger, ein anderer Stil, ein anderes Publikum. Ich wollte mal wieder was vollkommen anderes machen.

Ich + Ich war wie gemacht für unsere Zeit, Musik zum Anlehnen.

Jeder Ich + Ich-Song ist auch ein Polaroid aus meinem Leben.

Wie viel Kalkül steckt hinter Ich + Ich?

Keins. Das kannst du nicht am Reißbrett entwerfen. Wenn in der Musik falsche Töne drin wären, würden die Fans das sofort hören. Als mein Kind den Unfall hatte …

Ihr Sohn wurde im Alter von neun Jahren bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt …

… brauchte ich auch ganz viel Trost und hab den auch bekommen. Ich wundere mich manchmal: Wenn man Erfolg hat, kommen die Journalisten und unterstellen einem Berechnung. Als könnte man das planen! Wenn das so einfach wäre, könnte doch jeder über Nacht Hits schreiben. Man spürt im Sonnengeflecht, ob etwas stimmig ist oder nicht. Deswegen achte ich beim Songschreiben auch erst einmal darauf, dass die Kernsätze wahr sind …

Sätze, die man sonst eher von Frauen kennt, die aber bei Ich + Ich von einem Mann gesungen werden.

Ja, diese Mischung aus emotionalen und analytischen Texten, geschrieben von einer älteren Frau, gesungen von einem jungen Mann, machen wahrscheinlich den Spannungsbogen aus bei Ich + Ich.

Wie fühlt es sich an, wenn etwas aufgeht, was man nicht planen konnte?

Dadurch, dass ich immer schon am nächsten Album saß, habe ich das immer nur gemerkt, wenn ich zu den Konzerten von Ich + Ich gegangen bin und dort gesehen habe, dass doch ziemlich viele Leute die Lieder mitsingen konnten. Da war ich den Tränen nahe, habe mich ganz, ganz doll gefreut. Das sind aber nur einzelne Momente. Ich sitze ja nicht zu Hause und denke: Ach, das ist aber schön aufgegangen!

"Wir sind ja junge Talente", hat Udo Lindenberg einmal über Sie beide gesagt, "da wird noch einiges kommen." Was denn in Ihrem Fall?

Es gibt Sachen am Horizont. Ich breite meine Arme aus und lasse das auf mich zukommen. Das war schon immer so.

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