Annäherung Türkei-Israel: Ende der Eiszeit
Überfällige Normalisierung: Die Regierungen in Ankara und Jerusalem wollen verhindern, dass der Bürgerkrieg in Syrien auch auf ihre Länder übergreift.
ISTANBUL taz | Seit der telefonischen Entschuldigung von Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wegen der getöteten türkischen Aktivisten auf einem Hilfsschiff für den Gazastreifen kommt eine Annäherung zwischen den beiden Staaten mit großen Schritten voran. Der israelische Präsident Schimon Peres nutzte die Situation und versuchte in einem Interview in der türkischen Zeitung Hürriyet, eine Perspektive für die Zukunft aufzuzeigen.
Gegenüber der Zeitung sagte Peres, es gehe nicht nur darum, die vor drei Jahren zwischen der Türkei und Israel abgebrochenen Beziehungen wieder aufzunehmen. Vielmehr müssten beide Länder gemeinsam auf die Lage im neuen Nahen Osten reagieren. Beide Länder müssten sich gemeinsam für den demokratischen Prozess engagieren.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hatte am Wochenende angekündigt, er wolle möglichst bald die Palästinenser im Gazastreifen besuchen. Im Interview erklärte Peres, dass Israel keinen Einspruch erheben werde. „Wir haben kein Problem damit“, sagte Peres, „die Türkei hat sich ja im Gazastreifen früher schon wirtschaftlich engagiert und ich hoffe, dass sie das wieder tun wird.“
Die schnelle Annäherung zeigt, dass beide Seiten eine Normalisierung der Beziehungen für überfällig hielten. Das gilt, wie Netanjahu ausdrücklich sagte, vor allem angesichts des Bürgerkriegs in Syrien. Beide Regierungen haben ein vitales Interesse daran, dass der Krieg Israel oder die Türkei nicht direkt in Mitleidenschaft zieht.
Einladung an Erdogan nach Washington
Auch US-Außenminister John Kerry betonte während seiner Nahost-Reise, für wie wichtig er eine Aussöhnung zwischen Israel und der Türkei hält. Die Zusammenarbeit der beiden Länder sei „ein Schlüsselfaktor für den Frieden in Nahost“. Gerüchteweise will die US-Regierung in den kommenden Wochen doch noch einmal einen Plan für Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern vorlegen, in dem die Türkei eine Rolle spielen könnte. Erdogan ist von US-Präsident Barack Obama bereits zu einem Treffen im Weißen Haus eingeladen worden.
Auf der praktischen Ebene soll nun eine Gruppe von Diplomaten die Frage der Entschädigung der Familien der neun getöteten Gaza-Aktivisten diskutieren und den neuerlichen Austausch von Botschaftern zwischen Israel und der Türkei vorbereiten.
Während es in Israel innerhalb der Partei Netanjahus vor allem von Ex-Außenminister Lieberman Kritik an der Entschuldigung gab, herrscht in der Türkei Genugtuung, dass Israel nach drei Jahren heftiger Auseinandersetzungen nun doch den türkischen Forderungen nachkommen musste. Liberale Kreise in der Türkei hoffen auch, dass dadurch die antisemitischen Tiraden im Land wieder abnehmen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid