Ankunftszentrum Geflüchtete: Noch ein Jahr Hangar
Der Senat möchte ein neues Ankunftszentrum bauen: Doch das kann dauern. Solange müssen Geflüchtete im menschenunwürdigem Hangar ankommen.
Eigentlich will den Ort niemand. Dennoch gibt es seit zwei Jahren das „Ankunftszentrum“ in den ehemaligen Hangars im Flughafen Tempelhof. Und dort wird die Anlaufstation für Geflüchtete nach taz-Informationen noch mindestens ein Jahr bleiben: Denn das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und die ihm übergeordnete Sozialverwaltung von Senatorin Elke Breitenbach (Linke) haben sich offenbar dafür entschieden, ein neues Ankunftszentrum zu bauen, statt in ein bestehendes Gebäude umzuziehen. Das erfuhr die taz aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen.
Seit August 2016 wird die ehemalige Flughafenhalle 2 als sogenanntes Ankunftszentrum genutzt. Solche Zentren wurden in Folge des „Flüchtlingssommers“ 2015 und des Umbau des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in allen Bundesländern eingerichtet.
In den Hangars werden ankommende Flüchtlinge für die ersten 3 bis 14 Tage untergebracht, bevor sie in reguläre Heime überwiesen werden. Nicht wenige nennen die Unterbringung in „Wohnwaben“, die keinerlei Ruhe und Privatsphäre bieten, menschenunwürdig. Hangar 2 bietet Platz für bis zu 550 Menschen. In dieser Atmosphäre sei es nicht möglich, bemängeln Kritiker, sich auf die alles entscheidende Anhörung beim Bamf vorzubereiten. Zumal diese heutzutage oft schon nach wenigen Tagen stattfindet – und es vor Ort nach wie vor keine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung gibt. Diese aber bezeichnen Kenner des Asylsystems als unabdingbar für ein faires und zügiges Verfahren .
Zwar gibt es inzwischen Geld für eine solche Beratung, doch eingerichtet ist sie noch nicht. Auch will Sozialsenatorin Breitenbach den Hangar seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2016 schließen. Doch das LAF, so heißt es seither, finde keinen geeigneten Ersatz.
Der geplante Neubau
Nun will das Amt einen Neubau hochziehen. Offenbar gibt es schon einen konkreten Ort sowie Voruntersuchungen, dass der Bau innerhalb eines Jahres machbar ist. Geplant ist nach taz-Informationen ein Gebäude mit flexibler Belegung für mehrere hundert Menschen – inklusive Büro- und Wartebereichen für alle Bearbeitungsschritte der Registrierung und Leistungsgewährung.
Denn auch diese Aufgaben, die das LAF bisher im zweiten „Ankunftszentrum Bundesallee“ erledigt hat, sollen dort Platz finden – ebenso die Gesundheitsuntersuchung. Die zuständige Senatsverwaltung wollte sich auf taz-Anfrage zu diesen Plänen nicht äußern, einen entsprechenden Senatsbeschluss gibt es dazu noch nicht.
Georg Classen, Flüchtlingsrat
Grundsätzlich sei die Idee einer „One-Stop-Agency“ gar nicht schlecht, findet die Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch. Eine Beschleunigung des Asylverfahrens sei zum einen auch im Sinne der Geflüchteten. Zudem könnte bei einem frühzeitigen Gesundheitscheck gegebenenfalls eine besondere Schutzbedürftigkeit oder Traumatisierung festgestellt werden, die für das Asylverfahren relevant sein könnten. „Man kann die Menschen an einem Ort besser versorgen“, so Jarasch.
Gleichzeitig brauche es aber auch Ruhe und genug Zeit für eine professionelle, individuelle, frühzeitige und unabhängige Rechts- und Verfahrensberatung, die alle Neuankommenden erreicht – die es bislang im Hangar nicht gibt. Man könne damit aber auch nicht warten, bis ein neues Ankunftszentrum fertig ist. „Wir brauchen bereits jetzt eine Verbesserung der Beratung und die dafür nötigen ruhigen, abgegrenzten Räume“, fordert die Grüne. Spätestens Anfang kommenden Jahres müsse dies im Hangar möglich sein.
Auch Christian Lüder von der Organisation „Berlin hilft“ hat prinzipiell nichts gegen ein Ankunftszentrum mit mehreren Funktionen an einem Ort – wenn es nur nicht der Hangar ist. Dass der noch über ein Jahr als Ankunftszentrum bestehen bleiben soll, „damit kann keiner zufrieden sein“, so Lüder zur taz. Dann hätte man die Menschen auch schon vor einem Jahr in das Containerdorf nebenan ziehen lassen können, findet er. Als „Übergangslösung“ sei das allemal besser als die Hangars.
Sorgen bereitet Lüder zudem, dass auch am neuen Ort die Leute kaum zur Ruhe kommen werden – selbst wenn es eine unabhängige Beratung geben wird. „Der Asylprozess ist an sich zu schnell“, findet er. Nicht selten kämen Menschen montags in Berlin an und hätten schon Mittwochs ihre Anhörung.
Nach Auskunft des Bamf sind inzwischen ein Drittel der Asylverfahren in Berlin sogenannte Direktverfahren – das sind Schnellverfahren, die binnen weniger Tage abgeschlossen sind.
Flüchtlingsrat befürchtet Ankerzentren
Noch weiter geht der Flüchtlingsrat in seiner Kritik. Die offenbar geplante Zusammenlegung Berliner Asylbehörden in einer Unterkunft für Asylsuchende „ist ein Riesenschritt in Richtung Ankerzentrum“, findet Flüchtlingsrechtsexperte Georg Classen. „Wir befürchten, dass hier schon die Infrastruktur gelegt wird, falls es eine bundesgesetzliche Vorgabe zur Einrichtung von Ankerzentren geben sollte.“
Die sogenannten Ankerzentren sind eine Idee von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). In ihnen sollen Asylbewerber kaserniert werden und alle relevanten Behörden vor Ort sein, was den Prozess des Asylverfahrens beschleunigen soll. Der Senat lehnt – wie die meisten Bundesländer – solche Zentren bislang ab.
Gegen die neuen Pläne der Sozialsenatorin argumentiert der Flüchtlingsrat, Polizei-, Asyl-, Ausländer- und Leistungsbehörden dürfen nicht in Unterkünften stationiert werden – damit Geflüchtete wirklich zur Ruhe kommen können. „Es ist zumutbar und funktioniert erfahrungsgemäß bestens, dass die Asylsuchenden diese Behörden mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen“, so Classen.
Auch dass man überhaupt eine zentrale Unterkunft für alle Neuankommenden braucht, leuchtet ihm nicht ein. Bis zur Eröffnung des Hangars 2016 seien Neuankömmlinge ja auch in dezentralen Erstaufnahmeeinrichtungen untergekommen. Diese wurden alle von der Arbeiterwohlfahrt betrieben und „dort gab es auch immer eine Asylverfahrensberatung“, erinnert Classen. Auf diesen Weg müsse Berlin zurückkehren. „Es gibt in Berlin keine Unterbringungsnotlage mehr, die den Weiterbetrieb des Hangars auch nur für einen einzigen Tag rechtfertigen könnte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus