Ankunft von Ukrainern in Berlin: TXL weiter am Netz

Am früheren Flughafen Tegel ist das Ukraine Ankunftszentrum TXL in Betrieb gegangen. Bis zu 10.000 Geflüchtete können dort täglich erfasst werden.

Geflüchtete vor dem Registrierzelt am Flughafen Tegel

Geflüchtete vor dem Registrierzelt am Flughafen Tegel Foto: AP

BERLIN taz | Drei große weiße Zelte empfangen die Besucher. Seit Sonntag ist das neue „Ukraine Ankunftszentrum TXL“ auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tegel in Betrieb. In Zelt eins und zwei befindet sich eine Registrierstraße.

An langen Tischreihen mit Monitoren sitzen Bundeswehrsoldaten und speisen die Daten vor ihnen sitzender Geflüchteter in die Rechner ein. 120 dieser Schalter gibt es, an denen die Unterbringung in Berlin beziehungsweise Weiterleitung geregelt wird. Zelt drei ist ein Ruhe- und Aufenthaltsraum für alle, die noch am selben Tag mit Reisebussen weiterfahren wollen.

Binnen einer Woche wurde die Zeltstadt aus dem Boden gestampft – ein Gemeinschaftswerk von Landesregierung, DRK, Messe Berlin und anderen Hilfsorganisationen. Eine Registrierstelle in dieser Form und Größe sei bundesweit nahezu einzigartig, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Sonntag bei einer Pressekonferenz auf dem Flughafengelände.

Alle in Berlin eintreffenden Flüchtlinge sollen in dem Ankunftszentrum erfasst werden, bis zu 10.000 Ankommende täglich. „Das geht natürlich nur, wenn der Abfluss in andere Bundesländer zügig erfolgt“, so Giffey. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) erläuterte das Prozedere am Sonntag so: Alle etwa am Hauptbahnhof ankommenden Ukrainer werden zunächst in das Willkommens-Zelt auf dem Bahnhofsvorplatz geleitet. Kurzes Ausruhen, etwas essen und trinken, dann geht weiter in bereitstehenden BVG-Bussen nach Tegel.

Verteilprinzip Königssteiner Schlüssel

Das Ankunftszentrum TXL gehe bei der Verteilung in andere Bundesländer nach dem Verteilprinzip EASY und dem Königssteiner Schlüssel vor. Nach dem Königssteiner Schlüssel ist Berlin für 5 Prozent der Geflüchteten zuständig. „Seit Mitte letzter Woche gilt der Königssteiner Schlüssel und wird auch umgesetzt“, erklärte Giffey.

Direkt neben dem sternförmigen Terminal A/B am Rande des Rollfelds stehen die Zelte. Dahinter gibt es zehn Stellplätze für Reisebusse. Einige Doppeldecker stehen an diesem Sonntagnachmittag bereit zur Abfahrt in andere Bundesländer. Scheinbar aus den Nichts kommend rollt ein gelber Bus heran. „Sonderfahrt“ steht auf der rotierenden Anzeigetafel, gefolgt von einem „Willkommen“ auf deutsch, ukrainisch und russisch.

Menschen mit Taschen und Rollkoffern steigen aus. Frauen mit zwei Kindern an der Hand, eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm, das eine Puppe umklammert. Helfer in neonfarbenen Westen winken die Frauen in Richtung des Registrierzeltes.

Menschen, die Berlin „buchen“, so Sozialsenatorin Kipping bei der Pressekonferenz, durchlaufen im Ankunftszentrum die gesamte Registrierung. Danach würden sie maximal drei Nächte im Terminal A/B auf dem Flughafengelände untergebracht. Dort erfolge die erkennungsdienstliche Behandlung und ein Coronatest. Ferner besteht die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, es gibt ein medizinisches Clearingverfahren und eine Krisenintervention. Auch für eine Kinderbetreuung ist gesorgt.

30 bis 40 Prozent sind Kinder

Rund 30 bis 40 Prozent der Ankommenden seien Kinder, so DRK-Chefin Gudrun Sturm. Manche Kinder stünden „total unter Strom“. Man versuche die Kinder abzulenken und zu unterhalten. Beim Fußballspielen sei zu beobachten, wie sie sich entspannen. „Da geht einem das Herz auf“. Es werde alles dafür getan, die Familien nicht auseinanderzureißen. Für einen Großvater, der eigentlich in eine Pflegeeinrichtung gehört hätte, habe man eine 24-Stunden-Betreuung bis zur Weiterfahrt besorgt.

So wie die Kleingruppen ankommen, versuche man sie beisammen zu lassen, bestätigte Kipping. Manche Mütter hätten nicht nur die eigenen Kindern dabei, sondern auch die von Freunden, die in der Ukraine geblieben seien. Als unbegleitete Minderjährige müssten sie eigentlich in staatliche Obhut, davon werde aber abgesehen. Auch Mitglieder von jüdischen Gemeinden, die gemeinsam geflohen seien, wolle man keinesfalls auseinanderreißen. „Wir versuchen sie gemeinsam da unterzubringen, wo es jüdisches Leben gibt“.

Nach Angaben des Präsidenten des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Alexander Straßmeir wird das Ankunftszentrum in drei Schichten rund um die Uhr besetzt sein. Neben den Bundeswehrsoldaten – der Einsatz ist bis zum 31. März bewilligt – sollen ab Montag auch Beschäftigte der Landesverwaltung bei der Registrierung helfen. Bis zum 10. April seien 50 Neueinstellungen geplant, auch das, so Straßmeir, „ist ein Novum“.

Die Erstunterkunft im Terminal ist für insgesamt 2.600 Personen ausgelegt. Dafür sind die Ankunfs- und Abflugbereiche mit Trennwänden durchzogen. In den auf diese Weise geschaffenen Räumen stehen Doppelstockbetten. Es gibt kleinere und größere Nischen, das Minimum in einer Nische sind zwei Doppelstockbetten, die meisten sind deutlich größer. Insgesamt 250 Schlafplätze befinden sich in den jeweiligen Teilbereichen des Terminals, oben auf der Galerie jeweils weitere 106. Die Dusch- und Sanitäranlagen sind draußen neben den Flugsteigen in Containern untergebracht.

Plan sei, die Menschen möglichst schon am nächsten Tag in die Zieleinrichtungen zu bringen, sagte Straßmeir. „Also dahin, wo sie die Flucht beenden“.

Ehrenamtliche rufen um Hilfe

Während sich die staatlichen Strukturen also langsam aufbauen, kriechen die freiwilligen Hel­fe­r*in­nen in der 4. Kriegswoche auf dem Zahnfleisch. So haben sich die Ehrenamtlichen vom Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) – ähnlich wie zuvor schon die Gruppe vom Hauptbahnhof – mit einem Hilfsruf an die Öffentlichkeit gewandt. Die Menschen der selbstorganisierten Gruppe Berlin Arrival Support „können die zunehmend mental und physisch belastende Situation nicht weiter alleine tragen“, heißt es in der am Sonntag veröffentlichten Erklärung. Der Staat dürfe die Krisensituation nicht länger ignorieren. „Es bedarf sofort und dringend Unterstützung durch den Bund in Form von Personal und menschengerechter Unterkünfte in ausreichender Zahl“, fordern sie.

Über 350 Freiwillige organisieren quasi seit Kriegsbeginn das Ankommen von täglich mehreren hundert Flüchtlingen am ZOB. Oft seien es sogar bis zu 2.500 Flüchtlinge an einem Tag, sagt Johannes Klein, Pressekoordinator der Gruppe „We at ZOB“. Alle Ankommenden würden von Dolmetschern begrüßt. „Sie fragen, ob sie Hilfe brauchen, ob sie eine Adresse in Deutschland haben oder einen Plan. Die meisten haben keinen. Wer will, kann sich hier ausruhen, wir helfen mit dem weiteren Weg, vermitteln zum Beispiel in eine private Unterkunft.“

Das erste Problem: Viele Hel­fe­r*in­nen machen diese Arbeit seit Wochen, sind 12 bis 24 Stunden nonstop im Einsatz – weil es sonst niemand macht. „Ich komme gesundheitlich an meine Grenze“, sagt zum Beispiel Tina Wendel, Studentin, derzeit fulltime im Housing-Team.

Das zweite Problem: Die Strukturen, die die Hel­fe­r*in­nen brauchen, um so vielen Ankommenden adäquqat zu helfen, kommen dem Bedarf nicht hinterher. Alles, was es inzwischen am ZOB gibt – Wärmezelt, Sanitäranlagen, Container für die Helfer*innen, BVG-Shuttle zum Hauptbahnhof – sei nur nach Drängeln und Betteln eingerichtet worden, sagt Klein. Das sei zu wenig.

Zu unflexibel, zu langsam

„Ich sehe das Bemühen des Senats, aber diese bürokratischen Strukturen sind zu unflexibel und zu langsam“, sagt Jasemin Acar. Sie ist die Haupt-Koordinatorin, hat mit anderen über die Telegram-Gruppe „International Arrival Berlin“ die Ankommenssituationen an Hauptbahnhof, Südkreuz und ZOB organisiert. Konkret fordert Acar bessere Bedingungen in den großen Notunterkünften: „Wir brauchen Tegel, wir brauchen die Messehallen – aber da muss mehr passieren“, sagt sie. Mehr Dolmetscher, meint sie damit, und mehr Angebote für vulnerable Gruppen wie Behinderte, Queers, People of Colour. „Es kann nicht sein, dass sie alle ins selbe Zelt müssen.“

Außerdem müsse die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen besser werden: So hätten sie vom LAF eine Telefonnummer bekommen, die helfen soll, vulnerable Flüchtlinge unterzubringen. „Dort bekommen wir nur unzureichende Auskünfte, darum sind wir auch dabei wieder auf uns gestellt“, sagt sie.

Also ist Berlin heute nicht besser aufgestellt als 2015/16? „Naja, der Krieg ist in der 4. Woche – und wir Freiwilligen übernehmen immer noch die Hauptarbeit am ZOB. Das wäre eigentlich eine staatliche Aufgabe“, sagt Acar.

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