Anhaltende Proteste in Hongkong: Formlos wie Wasser

Chinas KP versucht die Konflikte in Hongkong zu kriminalisieren und auszusitzen. Bisher ist diese Strategie nicht aufgegangen.

Vermummter Demonstrant hebt die Hand hoch, umringt von vielen Menschen, die auch protestieren

Die Protestbewegung in Hongkong besucht das Internationale Finanz-Zentrum Foto: dpa

Ausgerechnet ein Zitat von Bruce Lee hat die Protestbewegung Hongkongs zum Leitmotiv erhoben: „Sei formlos, ohne Gestalt – so wie Wasser“, lehrt die Kung-Fu-Legende ihrem Schüler in einer TV-Serie aus den 70er Jahren. Diesen Rat haben die Aktivisten bislang befolgt: Sie agieren weitgehend ohne Führerpersonen, vermummen sich und organisieren über verschlüsselte Smartphone-Apps spontane Straßenblockaden. Direkte Zusammenstöße mit der Polizei haben sie zunächst vermieden.

Seit November jedoch haben die Proteste rasch an Gewalttätigkeit zugenommen: Demonstranten, die sich zuvor mit ihren Regenschirmen gegen die Tränengaswolken der Polizisten geschützt haben, werfen nun Molotowcocktails und Pflastersteine. Die Sicherheitskräfte hingegen verlieren regelmäßig die Fassung und missbrauchen ihre Machtautorität.

Mehrere Tote hat der Konflikt bereits gefordert: ein Student etwa, der – möglicherweise auf der Flucht vor Polizisten – von einem Parkhaus gefallen ist. Oder ein älterer Straßenkehrer, der von einem Ziegelstein der Aktivisten tödlich getroffen wurde. Jede Ausschreitung hat die Spirale der Gewalt weitergedreht, die Fronten zunehmend radikalisiert.

Gewalt ist jedoch nicht gleich Gewalt: Die Bereitschaftspolizisten haben für ihre Exzesse de facto keine Konsequenzen zu befürchten, bislang wurde nur ein Beamter vom Dienst suspendiert. Die über 5.000 festgenommen Studenten hingegen können laut dem Hongkonger Gesetz bis zu zehn Jahre hinter Gitter landen.

Noch immer steht das Gros der Hongkonger Bevölkerung hinter der Protestbewegung. Laut einer aktuellen Umfrage vom 15. November machen vier von fünf Hongkongern vor allem die Ignoranz ihrer Lokalregierung für die zunehmende Eskalation verantwortlich. Für die Zentralregierung in Peking ist es derzeit dennoch ein Leichtes, unter ihrer Bevölkerung die Hongkonger Protestbewegung als reine „Randalierer“ zu brandmarken.

Bislang spielt Festlandchina auf Zeit

Dennoch bleibt es nach wie vor unwahrscheinlich, dass China seine Volksbefreiungsarmee direkt in die Sonderverwaltungszone entsendet. Die Regierung ist weitsichtig genug, die Konsequenzen einer militärischen Niederschlagung vorherzusehen: Die Welt würde sich an das Massaker vom Tiananmen-Platz 1989 erinnert fühlen, ein massiver Bruch zwischen Washington und Peking wäre die Folge.

Bislang spielt Festlandchina vor allem auf Zeit. Die Protestbewegung würde, so lautet das Kalkül, entweder von allein allmählich abschwächen oder aber aufgrund des zunehmenden Vandalismus an Rückhalt innerhalb der Bevölkerung verlieren. Bislang ist jedoch keines der Szenarios eingetreten.

Die nun am Sonntag anstehenden Kommunalwahlen würden unter normalen Umständen kaum Relevanz über die Grenzen der Sonderverwaltungszone hinaus besitzen. Tatsächlich war Hongkong niemals eine politische Demokratie, doch noch immer genießt die Finanzmetropole gesellschaftlich und kulturell ein hohes Maß an Freiheit.

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Für Außenstehende mag es befremdlich erscheinen, wieso ein von der Verwaltungschefin Carrie Lam vorgeschlagenes Gesetz zur Auslieferung von Strafverbrechern nach Festlandchina eine solch anhaltende Protestbewegung hervorgebracht hat. Doch in diesem Konflikt geht es vor allem um die Zukunft: Die Hongkonger wollen ihre Freiheit und Autonomie auch die nächsten dreißig Jahre genießen.

So steht es schließlich im britisch-chinesischen Übergabevertrag niedergeschrieben: Bis 2047 sollen Hongkongs Gerichte, Medien und Handelsbeziehungen weiter autark bestehen bleiben. Seit Xi Jinpings Amtsantritt 2012 hatte jedoch die KP in China wiederholt versucht, ihre Machtansprüche gegenüber Hongkong immer weiter auszutesten.

Die Demokratieaktivisten kämpfen also gegen die Zeit; einen Kampf, in dem sie Etappensiege erringen, aber letzten Endes nicht gewinnen können.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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