: Angst vor der eigenen Reaktion
■ Gefühle einer Frau, deren Mann von Mitgliedern der Roten Brigaden ermordet wurde
Die Psychoanalytikerin Carol Beebe-Tarantelli, gebürtige Amerikanerin, ist die Witwe des von den Roten Brigaden 1985 ermordeten Gewerkschaftstheoretikers Giuseppe Tarantelli. Sie ging nach dem Tod ihres Mannes in die Politik und saß bis 1994 als linksunabhängige Abgeordnete im römischen Parlament. Sie engagiert sich besonders für den Schutz von Frauen und Opfern von Gewalt.
taz: Kam der Gedanke an ein politisches Engagement sofort nach dem Mord an Ihrem Mann?
Carol Beebe-Tarantelli: Nein. Ich war danach erst einmal eineinhalb Jahre total unfähig, irgendwas zu tun. Zwar habe ich mich etwa zwei Monate nach der Ermordung meines Mannes zusammen mit einem Freund, dem die Roten Brigaden in die Beine geschossen hatten, mit einer Gruppe von ehemaligen Terroristen getroffen, so wie ich später ebenfalls sogenannte Abspalter der Terrorgruppen getroffen habe. Aber das hat mir zunächst kaum Erleichterung gebracht. Im Gegenteil, ich hatte immer wahnsinnige Angst vor meiner eigenen Reaktion, wenn ich Leuten begegnen würde, die direkt oder indirekt für die Ermordung meines Mannes verantwortlich waren. Das alles konnte ich als Psychoanalytikerin natürlich auch analysieren. Aber aus der Verkrampfung bin ich darum noch lange nicht herausgekommen.
Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie aus dem Alptraum herausgelöst hat?
Ein Freund kam aus Israel zurück, wo er das Museum des Holocaust besucht hatte. Und der Direktor hatte ihm da einen Satz gesagt, den er nun mir weiterreichte und der mich zutiefst beeindruckte: Die Israelis, so der Direktor des Museums sinngemäß, sind sich nicht darüber klar, daß so etwas Schreckliches in uns nicht wirklich bearbeitbar ist. Das, was geschehen ist, kann man nicht in die eigene Person integrieren, und solange sich unser ganzes Denken nur um diese Tat und die damit verbundenen Gefühle bewegt, zerstören wir uns selbst. Ich glaube, daß dies stimmt, jedenfalls so weit ich das aus meiner Erfahrung sagen kann.
Natürlich ist man nach einer solchen Erfahrung nie wieder der- oder dieselbe. Ich weiß nicht, ob man sich davon jemals wieder ganz erholen kann. Ich selber habe zum Beispiel in den Jahren seither nie wieder richtig Freude empfinden können. Früher konnte ich mich vor einen blühenden Baum hinstellen und eine unglaubliche Freude empfinden. Heute bereitet mir das eher Schmerz.
Und wie kommen Sie damit zurecht?
Ich habe erkannt, daß ich mich damit abfinden muß, daß das wirklich nicht mehr anders wird. Doch das heißt nicht, daß ich mein Leben als solches beschließen muß – oder darf: Ich habe einen Sohn, der mich braucht, und ich denke, ich kann auch anderen Menschen noch etwas geben. Mein Sohn war lange Zeit nicht einmal deprimiert, sondern völlig apathisch – was noch schlimmer ist.
Doch ich habe mich da immer an einem Satz festgehalten, den er mir unmittelbar nach der Nachricht vom Mord gesagt hat: Mami, aber wir müssen weiterleben. Und so habe ich eben irgendwann erkannt, daß ich mich wieder im Leben engagieren muß. Daraus ist dann mein politisches Engagement geworden. Und auch da hat mir wieder viel geholfen, daß das einzige, was auch meinem Sohn wieder eine gewisse Kraft gegeben hat, die Beschäftigung mit der Politik war.
Nun ist es aber nicht selbstverständlich, sich links zu engagieren, wenn der Mann von einer Gruppe umgebracht wird, die sich auch als links verstanden hat.
Ich war eine begeisterte Achtundsechzigerin. Zu Hause, in den USA, habe mich schon damals stark im Feminismus engagiert. Mit institutioneller, parlamentarischer Politik hatte ich aber nie etwas zu tun. Das kam erst später, weil ich gesehen habe, daß man auch da ansetzen muß, um etwas in dem Sinn zu ändern, daß derlei Dinge nicht mehr geschehen dürfen. Weder mir noch meinem Sohn, noch anderen Menschen. Interview: Werner Raith
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