Angriffe auf Rider: Aus Helden werden Opfer
Kurierfahrer*innen in Berlin berichten über zunehmende Angriffe und Belästigungen durch Kund*innen und Restaurantmitarbeiter*innen.
Laut Lieferando Workers Collective (LWC), einer Interessenvertretung der Kurierfahrer*innen, hat sich der Vorfall am Sonntagabend zugetragen: Ein Rider habe im Burger-Restaurant Burgermeister in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg auf eine Bestellung gewartet. Die Restaurantmitarbeiter*innen hätten daraufhin gesagt, dass er nicht im Restaurant warten dürfe, seien aggressiv geworden, hätten ihn auf den Hinterkopf geschlagen und aus dem Restaurant gestoßen. Der Kurier soll Kopfverletzungen erlitten haben und wurde im Krankenhaus behandelt.
Der Geschäftsführer von Burgermeister dementiert: „Ich weise die Behauptung, dass unsere Kollegen vor Ort einen Lieferando-Fahrer verprügelt haben, in aller Deutlichkeit zurück“, sagt er am Donnerstag der taz. Der Vorfall wurde von Burgermeister zur Anzeige gebracht, das Verfahren läuft.
„Verbale und physische Angriffe auf Fahrer*innen nehmen lieferdienstübergreifend zu“, sagt Max vom LWC, der nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen möchte. Während der Coronapandemie sei dies bereits deutlich geworden, diesen Sommer hätten die Übergriffe jedoch eine neue Spitze erreicht. „Sie gehen nicht nur von Restaurantmitarbeiter*innen aus, sondern auch von Privatpersonen, Kund*innen und Verkehrsteilnehmer*innen.“
Sexuelle Belästigungen durch Kunden
Es häuften sich etwa Vorfälle, bei denen Männer nackt an die Tür kämen, um ihr Essen entgegenzunehmen oder ihr Handtuch im Moment des Türöffnens fallen ließen. Kurierinnen erzählten vermehrt von Anfragen nach einem Date oder ob sie zum Essen reinkommen wollten. „Sie wollen sicher ihren Job machen und werden diskriminiert und beleidigt“, kritisiert Max.
Die fehlende Achtung gegenüber Kurier*innen ist in seinen Augen ein strukturelles Problem. „Unsere Arbeit ist billig, deshalb werden wir nicht respektiert.“ Das liege auch an der mangelnden Wertschätzung der Kurier*innen innerhalb der Firma.
Der Lieferdienst steht seit Langem wegen niedriger Löhne, Verletzung von Arbeiter*innenrechten und Union Busting in der Kritik. „Sie zwingen ihre Fahrer*innen weiterhin, die schweren Rucksäcke auf dem Rücken zu tragen und muten ihnen Strecken bis nach Brandenburg zu“, sagt Max. Bei Ubereats und Wolt hingegen gebe es mittlerweile Gepäckträger und die Kurier*innen müssten kaum über die Bezirksgrenzen hinausfahren.
Zudem gefährde Lieferando mit seiner „Alibi-Lösung“ bei der Toilettennutzung von Ridern die Kurier*innen. Auf der offiziellen Toilettenliste von Lieferando steht zum Beispiel die Burgermeister-Filiale an der Schönhauser Allee. Diese verwehrten jedoch Ridern, aufs Klo zu gehen. „Das kann man vertraglich regeln, aber Lieferando nimmt sich aus der Verantwortung und schiebt es auf die Restaurants ab“, kritisiert Max.
Demonstration vor Burgermeister-Filiale
Lieferando hingegen betont gegenüber der taz sein Engagement für die Kurier*innen: „Die Sicherheit unserer Fahrer*innen steht an erster Stelle“, sagt ein Sprecher am Donnerstag zur taz. Man stehe mit dem betroffenen Fahrer und dem Partnerrestaurant in Kontakt und habe bereits interne Untersuchungen eingeleitet. Auch unterstütze man die laufenden Polizeiermittlungen.
Dem Lieferando Workers Collective reicht das nicht. „Es werden immer noch Kuriere losgeschickt, um Bestellungen von dort abzuholen, obwohl sie wissen, dass ein Kollege dort gerade zusammengeschlagen wurde.“
Max fordert, dass Fahrer*innen Orte blockieren können, bei denen sie negative Erfahrungen gemacht haben und dort keine Lieferungen mehr abholen müssen. Bei Wolt sei dies bereits der Fall. Um Vorfällen, wie dem am Sonntagabend vorzubeugen, brauche es zudem verbindliche Regelungen zu Wasser, Toilettennutzung und Verhalten, wenn man wartet – vor allem bei Extremwetter.
Um gegen die Angriffe auf Kurier*innen zu protestieren, ruft das LWC für nächsten Freitag zu einem Protest vor der Burgermeister-Filiale auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf