Angriffe auf Kurden in der Türkei: Der angefeuerte Wahlkampf
Nach dem Protest gegen die PKK brannten die kurdische HDP-Zentrale und andere Einrichtungen. HDP-Chef Demirtaş beschuldigt Erdoğan.
In Ankara setzte ein Mob die HDP-Parteizentrale in Brand, bei dem Feuer seien wichtige Wahlunterlagen zerstört worden. Die Polizei habe zunächst tatenlos zugesehen, wie die Parteizentrale in Flammen aufgegangen seien, kritisierte HDP-Chef Selahattin Demirtaş. Am Mittwoch teilten Behörden mit, dass die Polizei 93 Menschen festgenommen hat.
Auch in der südtürkischen Stadt Alanya wurde der örtliche HDP-Sitz in Brand gesetzt. Demirtaş selbst habe noch in der Nacht den Gouverneur von Ankara, Mehmet Kılıçlar, angerufen und um Hilfe gebeten. „Aber da bemerkte ich, dass er in diese Sache mit involviert war“, denn Kılıçlar habe einfach aufgelegt. Demirtaş gab Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und AKP-Premier Ahmet Davutoğlu die Schuld an der Eskalation.
„Die von einer Hand gelenkte Angriffsaktion wird von der Regierung ausgeführt.“ Erdoğans Schuld ist nicht bewiesen, dennoch sprach der HDP-Abgeordnete Ertuğrul Kürkuçu gar von „Erdoğans Kristallnacht“ in Anlehnung an die von den Nazis gesteuerten antijüdischen Pogrome 1938 in Deutschland. Auf Bildern, die von der HDP veröffentlicht wurden, sind völlig ausgebrannte Parteieinrichtungen zu sehen.
Die Luftwaffe bombardiert
Die türkischen Nationalisten werfen der HDP vor, der politische Arm der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Seit Sonntag eskaliert die Situation zwischen Ankara und den Kurden. An diesem Tag war ein Militärkonvoi in Dağlica in der südostlichen Provinz Hakkari in eine Sprengfalle der PKK geraten. Anschließend lieferten sich die kurdische Rebellen schwere Gefechte mit den Sicherheitskräften, 16 Soldaten kamen nach Militärangaben dabei ums Leben.
HDP-Chef DemirtaȘ
Die Region wurde weitgehend abgeriegelt, die Kampfhandlungen dauern an. Seither bombardiert die türkische Luftwaffe Stellungen der PKK im Südosten des Landes. Im Kampf gegen die Kurden waren am Dienstag, wenige Stunden bevor die Nationalisten durch die Straßen zogen, türkische Bodentruppen kurzzeitig in den Nordirak eingedrungen.
Der nationalistische Hass richtete sich erneut auch gegen die Tageszeitung Hürriyet. Dienstagnacht versuchte ein Mob, die Redaktion zu stürmen. Auf den Bildern von Überwachungskameras ist zu sehen, wie rund 100 Menschen vor dem Redaktionsgebäude stehen, „Allahu Akbar“ – „Gott ist groß“ schreien, das Gebäude mit Steinen bewerfen und versuchen, gewaltsam einzudringen. Wieder konnte nur die Polizei die aufgebrachte Masse zurückdrängen.
Schon am Sonntag versuchten rund 200 AKP-Anhänger, die Redaktion der Hürriyet zu stürmen. Auslöser war eine Meldung, welche die Redaktion kurz zuvor online gestellt hatte. Dabei handelte es sich um ein Zitat Erdoğans, der am Sonntag gesagt hatte: „Wenn eine Partei es geschafft hätte, 400 Abgeordnete oder die (nötige) Anzahl, für eine (neue) Verfassung zu bekommen, würde die Situation heute ganz anders aussehen.“ Bei den Parlamentswahlen im Juni verfehlte die AKP die absolute Mehrheit und konnte deswegen keine Verfassungsänderung im Alleingang durchführen.
Angriff auf die „Hürriyet“
Die Hürriyet brachte die Äußerung via Twitter mit den Gefechten in Hakkari in Verbindung und unterstellte Erdoğan indirekt, den Konflikt mit den Kurden anzuheizen und damit die Chancen für die von ihm mitbegründete AKP bei den Neuwahlen am 1. November erhöhen zu wollen. Daraufhin formierten sich die AKP-Anhänger vor der Hürriyet-Redaktion.
Wenige Stunden nach dem Angriff auf die Zeitung meldeten türkische Medien, dass in der Gruppe auch der AKP-Abgeordnete und Vorsitzende der Istanbuler AKP-Jugendorganisation, Abdurrahim Boynukalin, gewesen sei. Auf einem Video, dass auf der Homepage der Hürriyet veröffentlicht wurde, ist er vor der Redaktion zu sehen. Der Abgeordnete sagt, es sei egal, wer die Wahlen am 1. November gewinnen werde, Erdoğan werde zum exekutiven Präsidenten ausgerufen. Anschließend würde man mit allen Gegnern abrechnen. Dann zählt er unter anderem die Fethullah-Gülen-Bewegung, die regierungskritische Presse und die HDP-Partei auf.
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