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Angriff aus der zweiten Reihe

Beim 10:1-Erfolg gegen Erfurter Dragons demonstrieren auch die Nachwuchsspieler der Berlin Capitals ihr Können. Coach Andreas Brockmann lenkt das Team in Richtung Aufstieg, den die DEL-verwöhnten Fans dringend ersehnen

Verliert eine Mannschaft, gibt es diverse Rezepte, mit denen ein Übungsleiter sein Personal auf Vordermann bringen kann. Entweder gibt er trainingsfrei, oder er setzt Sonderschichten an, wenn die Pleite allzu deftig ausgefallen ist. Und mancher Coach krempelt leise die Mannschaft um und sieht das Positive am Misserfolg.

Andreas Brockmann wählte nach der ersten Saisonniederlage der Berlin Capitals die dritte Variante. Am Mittwoch hatten das Team im Ligapokal gegen die Saale-Teufel Halle mit 2:4 vergeigt, und der 35-Jährige sprach davon, dass „es Zeit geworden ist, dass wir mal verlieren“. Denn die Charlottenburger hatten in den letzten Partien zunehmend überheblich gespielt, als sei der Aufstieg in die Oberliga quasi ein Selbstläufer. Doch die Erfolgsbilanz in der Regionalliga – 5 Spiele, 5 Siege, 34 Tore, nur 8 Gegentreffer – verdeckte das Manko der Westberliner: Ihr Spiel hängt zu sehr von der Form ihrer sechs erstligaerfahrenen Aktiven ab, allen voran Pavel Gross, der mit Mannheim dreimal Deutscher Meister wurde. Gönnten sich die renommierten Kräfte eine Auszeit, konnten die jungen, unerfahrenen Spieler, von denen zehn noch die Schule besuchen, zuletzt nicht in die Bresche springen.

Das sah am Samstagabend schon etwas anders aus bei der Partie gegen die schwächelnden Black Dragons aus Erfurt, die der Exnationalspieler Brockmann „nur von den Ergebnissen her“ kannte. Die Thüringer erlebten letzte Saison in der Oberliga ihre Insolvenzmalaise, weshalb von dem einst kampfstarken Team nur der Torso übrig blieb. So spielten sie auch: wie beinamputiert in der Offensive, kopflos in der Defensive. Mit 10:1 (4:0, 2:0, 4:1) gingen die Gäste noch gut bedient vom Eis, denn die Niederlage hätte weit höher ausfallen können, so kunstvoll zerlegten die Capitals den Konkurrenten in seine Einzelteile.

Die Machtverhältnisse dokumentierte Caps-Verteidigertalent Sebastian Geistler, als er die fulminanten Rangeleiversuche eines Erfurters lässig mit zuckender Schulter quittierte und ansonsten den Unruhestifter ignorierte. Diese Form der Überheblichkeit dürfte Brockmann gerne gesehen haben, mehr noch den Erfolg seiner Umstellungen sowie das Engagement der Nachwuchsspieler. Die beiden neuen Defensivpärchen Hurbanek/Watzke und Tittus/Geistler agierten sicher, von der neu formierten zweite Reihe trafen alle Offensivkräfte. „Wir sind nicht Berlin-Gross“ zeigte sich der Trainerneuling fast zufrieden, dass sein Vorzeigespieler sich nur einmal in die Torjägerliste eintrug und insgesamt unauffällig agierte.

Trotz des Erfolgs denkt Brockmann über Verstärkungen für das Unternehmen „Aufstieg Oberliga“ nach. Auf seiner Fahndungsliste stehen ein Torwart, ein Verteidiger und ein Stürmer. In der Aufstiegsrunde sollen erfahrene Spieler ans Werk, die die nervliche Belastung aushalten, wenn in kleinen Hallen Partien gegen starke Nordclubs wie Timmendorf anstehen.

Geld für zwei weitere Spieler ist bei den Caps nach Aussage von Clubpräsident Lorenz Funk vorhanden, aber vermutlich ist erst zu Beginn der Aufstiegsrunde im Januar – wenn überhaupt – mit Neuzugängen zu rechnen. Nicht nur um neue Sponsoren zu gewinnen, ist der Aufstieg notwendig. Auch viele Fans haben eine Schmerzgrenze, und die heißt: maximal zwei Jahre Regionalliga. Gegen Erfurt kamen 1.766 Zuschauer in die Deutschlandhalle, was in etwa dem bisherigen Besucherdurchschnitt entspricht – für die vierte Liga phänomenale Zahlen. „Der Aufstieg kann nur das einzig realistische Ziel sein, sonst laufen die Zuschauer weg“, formulierte Stephan Sachse, Vorsitzender des Fanclubs „Preussens Gloria“, die Erwartungen der Fans. Viele wie Mario Gratzky hoffen auf die Künste des 34-jährigen Pavel Gross. „Wenn der uns in die Zweite Liga bringt, hat er sein Soll erfüllt.“

Das könnte schneller geschehen als gedacht: In Deutschlands Eishockeyszene kursieren Planspiele, die Oberliga mit Zweiter Liga zu verschmelzen und eine Nord- und Süd-Staffel zu installieren. MARCUS VOGT

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