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Angriff auf die Tageszeitung

Online „Der Spiegel“ hat einen neuen Ableger. Die tägliche Digitalausgabe „Spiegel Daily“

Geht nicht im Funkloch: „Spiegel Daily“ Foto: spiegeldaily.de/dpa

von Daniel Bouhs

Neu und gefährlich ist vor allem die Uhrzeit: 17 Uhr. So früh ist keine digitale Ausgabe einer deutschen Tageszeitung zu haben, schon gar nicht als wirklich abgeschlossenes Produkt, das „ein Mal am Tag die Welt anhält“, wie der Spiegel seinen neuen Tagesreport geschickt bewirbt. Spiegel Daily holt die Pendler ab und vieles, was sich die Redaktion dafür ausgedacht hat, klingt zwar banal, ist aber doch ziemlich clever.

Neben der aktuellen Lage (Erstausgabe: Trump und Russland, Koalitionsgepoker in NRW, das Update zu den Cyber-Gangstern), Porträts, Reportagen und (Video-)Interviews empfiehlt Daily in der Rubrik „Mein Abend“ etwas im Fernsehen, ein Buch und für alle, die gerade ohnehin an einem Supermarkt vorbeikommen, auch noch das „Abendessen in 30 Minuten“ (der erste Daily-Abend bringt Gratinierte Lachsschnitte auf Linsencurry).

Nach einem Tag im Netz weiß die Redaktion auch schon, was gut läuft: Am besten geklickt haben sich in der ersten Ausgabe nach dem Trump-Aufmacher die Promi-Formate mit Harald Schmidt, Jörg Kachelmann und Serdar Somuncu, so Redaktions­leiter Timo Lokoschat. Diese bringen ihre jeweiligen Fangemeinden einfach mit zu Daily.

Wenn man das alles durchhat, wartet sogar noch eine „Gute-Nacht-Geschichte“. Was soll man sagen: Info und Service zum richtigen Zeitpunkt gebündelt – ja, dieses Modell könnte durchaus ziehen.

Was irritiert: Zu Spiegel Daily gibt es bisher keine App, sondern nur eine mobile Webseite. Das könnte gerade für den Pendler fatal sein, der in der Bahn schon mal durch ein Funkloch fährt und so keine Möglichkeit hat, offline zu lesen. Lokoschat begründet das damit, dass Daily sich noch entwickle und sich eine Homepage flexibler umstellen lasse. „Sollten wir aber feststellen, dass das Bedürfnis nach einer App besteht, werden wir dem nachfolgen.“

Schneller produzieren?

Natürlich ist Daily ein Frontalangriff auf Tageszeitungen. Der Spiegel wird damit mancherorts sicher Existenzängste stärken, bestenfalls aber ja auch Veränderung treiben, wo sie bitter nötig ist. Viele Zeitungen mögen sich insgesamt auch eher behäbig bewegen, allein: Nicht wenige Verlagsleitungen haben sich längst auf das digitale Zeitalter eingestellt, denn auch klassische Zeitungen produzieren – wie nun der Spiegel – häufig digitale Abendausgaben, wie es sie früher auf Papier noch zuhauf gab (Frankfurter Rundschau am Abend) und da und dort auch noch gibt (Münchner Abendzeitung).

Verlagsmanager jenseits des „Spiegels“ müssen sich nun ein paar Fragen stellen

Was früher die Abend­zeitungen waren, sind heute eben die Digital­ausgaben. Auf die taz können LeserInnen via Smartphone oder Tablet-Computer genauso bereits am Abend zugreifen wie auf FAZ, Süddeutsche Zeitungoder viele regionale Titel. Sie alle erscheinen nun aber allesamt später als Daily.

Die Süddeutsche ist mit 19 Uhr schon früh dran. Und Daily hat sich noch eine Rubrik ausgedacht, die letztlich simpel ist, aber auch genial: Im Ressort „Social“ sammeln die JournalistInnen, was tagsüber im Netz los war. Motto: Wer seinen Tag nicht am Handy verdaddeln konnte, sondern etwa Bus und Bahn gesteuert oder Klamotten verkauft hat, kann auf dem Sofa oder in der Kneipe mitreden.

Verlagsmanager jenseits des Spiegels werden sich nun ein paar Fragen stellen müssen: Sollten sie künftig deutlich schneller produzieren, als sie es jahrzehntelang für den Redaktionsschluss am Abend getan haben – oder wollen sie, dass sich der Spiegel die Pendler schnappt? Oder auch: Wenn der Spiegel News, Tiefgründiges und Service für keine 10 Euro im Monat auf den Markt wirft, können sie dann noch so viel für ihre Digitalausgaben verlangen wie einst für ihre gedruckten Zeitungen? Viele tun genau das.

Daily hat jedenfalls das Potenzial, die Branche zu verändern – wenn das Produkt tatsächlich zündet. Auf den ersten Blick spricht zumindest einiges dafür.

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