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Angriff auf SPD-Mitglieder in BerlinVier Neonazis zu Jugendstrafen verurteilt

Nach einem Angriff auf SPD-Wahlhelfer in Berlin sind vier Männer zu Jugendstrafen verurteilt worden. Das Gericht betonte die rechte Gesinnung der Täter.

Die vier Angeklagten mit ihren Anwälten im Gerichtssaal in Berlin-Moabit Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin taz | Sie waren aus Sachsen-Anhalt nach Berlin gekommen, um an einem Neonazi-Aufmarsch teilzunehmen. Doch bevor die vier jungen Männer an jenem Dezembersamstag dort eintrafen, verprügelten sie auf offener Straße zwei SPD-Wahlhelfer*innen und attackierten Po­li­zis­t*in­nen. Am Donnerstag hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin sie nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu Jugend­strafen verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass alle vier Angeklagten – zum Tatzeitpunkt zwischen 16 und 19 Jahre alt – an dem Angriff nahe dem Bahnhof Lichterfelde Ost im Berliner Süden beteiligt waren. „Es bestehen keine Zweifel, dass sie gemeinschaftlich gehandelt haben“, sagte der Vorsitzende Richter. Er sprach von einer „ganz erheblichen Tat“, die sich eindeutig gegen politisch Andersdenkende gerichtet habe.

Von den vier Angeklagten muss der 19-jährige Florian K. am längsten ins Jugendgefängnis: zwei Jahre und acht Monate ohne Bewährung. Er habe „eindeutig nachweisbar“ Springerstiefel getragen und mit diesen auf den bereits am Boden liegenden SPD-Mann eingetreten. Der ebenfalls 19-jährige Elias U. wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt; er soll den Angriff eingeleitet haben, indem er dem Betroffenen die rote SPD-Mütze vom Kopf gerissen hat.

Die beiden weiteren Angeklagten, Phillipp B., 20 Jahre alt, und Pascal K. – der 17-jährige Bruder von Florian K. –, erhielten Jugendstrafen von zwei Jahren beziehungsweise einem Jahr und neun Monaten. Sie kommen vorerst unter Auflagen frei. In einem halben Jahr will das Gericht entscheiden, ob die Strafen zur Bewährung ausgesetzt werden.

Schwierige Lebensumstände

Dass die drei volljährigen Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, hatte sich während der Verhandlung abgezeichnet. In einem Bericht hatte die Jugendgerichtshilfe ein düsteres Bild von der Vergangenheit und den Lebensumständen der Männer gezeichnet. Unter anderem hätten Pascal und Florian K. unter dem frühen Tod der Mutter gelitten, zudem sei der Vater Alkoholiker. Weiter war die Rede von häuslicher Gewalt, Drogen, Heimaufenthalten und Obdachlosigkeit.

„Die Biografien sämtlicher Angeklagten sind durch große Brüche gekennzeichnet“, räumte die Staatsanwältin am Mittwoch in ihrem Plädoyer ein. Die Männer würden „eher Jugendlichen gleichstehen als Erwachsenen“.

„Enthemmt und empathielos“

Dennoch plädierte sie für „eine klare Strafe“, um „ein Umdenken zu erreichen“. Sie forderte Jugendstrafen zwischen zweieinhalb und drei Jahren und vier Monaten ohne Bewährung. Die vier hätten sich „völlig enthemmt und empathielos“ ihr unterlegenes Opfer ausgesucht. Darüber hinaus betonte die Staatsanwältin den politischen Hintergrund der Tat: „Das Auftreten vor Ort war offen rechtsradikal.“

Die Anwälte der vier Angeklagten hatten hingegen deren Gesinnung in Zweifel gezogen und den Angriff teils als „spontane“ und „jugendtypische Tat“ bezeichnet. Sie hatten Bewährungsstrafen für Florian K. und Elias U. gefordert sowie eine Verwarnung für Phillipp B. und einen Freispruch für Pascal K.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ohnehin ist mit dem Schuldspruch vom Mittwoch die juristische Aufarbeitung des Angriffs nicht abgeschlossen. Derzeit läuft ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen vier weitere junge, teils minderjährige Personen aus Sachsen-Anhalt, die auch in Lichterfelde dabei gewesen sein sollen.

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