Angriff auf LGBT-Aktivisten: Prügel für den „Verräter“
Eigentlich ist Barbaros Sansal Modemacher. Jetzt wurde er wegen sarkastischer Kritik an der Türkei zum verhassten Verräter – und Opfer.
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Es war 23 Uhr, als sich ein wütender Mob auf Barbaros Şansal stürzte. Obwohl der 59-Jährige in Begleitung von Polizisten war, wurde er noch auf dem Flugplatz verprügelt. Warum? Der Modemacher ist einer der bekanntesten LGBT-Aktivisten der Türkei und den dortigen Islamisten schon deshalb seit Langem ein Dorn im Auge. Und seit er sich während der Gezi-Proteste engagierte, hat ihn auch die Regierung im Visier.
Trotzdem ist das, was Şansal passierte, selbst für die heutige Türkei skandalös. Extra für seine Silvesterfeier war er nach Nordzypern gefahren, formal nicht Teil der Türkei und weit weniger konservativ als das Mutterland. Von dort postete er um Mitternacht ein Neujahrsvideo, in dem er ironisch, sarkastisch und verzweifelt über die Islamisten zu Hause herzieht.
Das Video führte zu einer massiven Hetzkampagne in den sozialen Medien. Die türkischen Behörden erließen einen Haftbefehl gegen den Modemacherer, dem die formal von der Türkei unabhängige Regierung von Nordzypern innerhalb weniger Stunden nachkam. Barbaros Şansal wurde zwecks Abschiebung in die Türkei festgenommen – wegen „Volksverhetzung“ und „beleidigender Tweets“.
Dann wurde über die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu verbreitet, der Verhaftete würde am Montagabend um 20.55 Uhr per Flugzeug nach Istanbul abgeschoben. Die Verfechter der türkischen Ehre wussten also Bescheid – und erwarteten Şansal. Noch auf der Gangway des Flugzeuges schlugen fanatisierte Islamisten und Nationalisten auf ihn ein. Die Polizisten, die ihn in Zypern abgeholt hatten, machten kaum Anstalten, ihn zu schützen.
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Wie der Mob das Rollfeld und damit den Hochsicherheitsbereich des Flughafens erreichen konnte, wird im türkischen Fernsehen nicht thematisiert. Stattdessen stellte der AKP-Bürgermeister von Ankara, Melih Gökçek, ein Foto von Şansals blutigem Gesicht ins Internet – mit der Bemerkung, Gewalt sei zwar abzulehnen, aber „Verräter“ müssten nun mal mit „dem Volkszorn“ rechnen.
Seit Montagnacht sitzt Şansal nun in Untersuchungshaft. Der Killer, der an Neujahr in Istanbul 39 Menschen tötete, ist dagegen nach wie vor auf freiem Fuß.
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