Angela Merkel beim Kirchentag 2015: Im analogen Sonnenschein
Übers Internet diskutieren sollte die Kanzlerin. Sie tat das überraschend informiert – der Rest des Podiums machte es ihr allerdings leicht.
Wesentlich interessanter war die Kanzlerin in der Podiumsdiskussion danach. Vor den 9.000 Besuchern in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle gab sie – wer hätte es gedacht – die beste Figur ab. Unaufdringlich charmant, teilweise sogar keck. Und sie zeigte, dass sie das Internet wesentlich besser versteht, als es manchmal scheint (Stichwort: „Neuland“).
Deutlich wurde das, als sie betonte, wie sehr das Internet unser Verhältnis zu Eigentum verändert. Als sie unterstrich, dass künftige Arbeitsbiografien massiv davon abhängen werden, wann und mit welcher Intensität Heranwachsenden das nötige Netzwissen beigebracht wird.
Ihre Gesprächspartner machten es Merkel aber auch einfach. Petra Grimm vom Institut für Digitale Ethik in Stuttgart zum Beispiel: Abgesehen davon, dass sie mit jedem ihrer Beiträge eine mittelgroße Menschentraube aus der Halle langweilte, forderte sie so blödsinniges Zeug wie ein öffentlich-rechtliches Facebook. Träumte von Social-Media-Plattformen, die keinen Datenhandel betreiben – auch die Kanzlerin räumte ein, dass sich dafür kaum attraktive Angebote gewinnen ließen.
Kirchentage unter evangelischen ChristInnen heißt: Ernst zu nehmen, was dort verhandelt, erörtert, begrübelt und was direkt zur Sprache gebracht wird.
Die taz war immer so frei, gerade das an Kirchentagen aufzuspießen, was allzu wohlgefällig im „Allen wohl und niemand weh” unterzugehen droht. Streit nämlich, echte Kontroverse und das Vermögen, scharf Stellung zu beziehen.
Deshalb begleiten wir den Kirchentag auch: in Stuttgart vor Ort und mit vier täglichen Sonderseiten in der Zeitung. Zum ersten Mal schickt die taz Panter Stiftung dafür junge Journalisten nach Stuttgart, die die Berichterstattung übernehmen. Die elf ReporterInnen sind weit angereist, aus Mainz, Berlin oder Hamburg etwa. Es berichten: drei Katholiken, zwei Protestanten, eine Muslima und fünf Atheisten.
Sie weiß, wie sie die Leute für sich gewinnt
Von Publikumsfragen ließ Angela Merkel sich nicht in die Enge treiben. Auch nicht von jenen nach der Vorratsdatenspeicherung. Selbstverständlich weiß sie, wie sie die Leute für sich gewinnt. Wie sie kritische Fragen mit einer mild-flapsigen Antwort in die Gegenrichtung drehen kann. Und es könne nun mal nicht angeben, dass Bürger ihre Daten bereitwillig jedem Unternehmen geben, ihr Kaufverhalten durchleuchten lassen, dem Staat ihre Informationen aber verwehren. Starker Beifall, genau, so kann man‘s ja auch sehen.
Von den anderen Diskutanten war nicht viel zu hören. Besonders bräsig: Harald Lesch. Gewöhnlich ist der Philosoph, Physiker und Fernsehmoderator ein erfrischender Denker, diesmal nicht. Mit heimatfilmkompatiblen Allgemeinplätzen warf er um sich. Dass ein Sonnenaufgang in echt anders aussehe als im Netz. Dass wir das Ergebnis einer biologischen Evolution seien. Ja ja, bla bla.
Das Publikum klatschte artig. Raus mit euch, wollte man schreien. Raus in euren analogen Sonnenschein.
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