Angela-Davis-Ausstellung in Dresden: Ziemlich verlogene Umarmung
Die Ausstellung „1 Million Rosen für Angela Davis“ im Dresdner Albertinum untersucht die Bedeutung der marxistischen Philosophin in der DDR.
Mit dem Artikel „Wende an den Wänden“ in der Sächsischen Zeitung zettelte der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser 2017 den „Dresdner Bilderstreit“ an: Was früher im Albertinum gehangen hat, könne doch heute nicht ganz falsch sein. Andere Kritiker*innen unterstellten dem Team um Hilke Wagner ausführende Staatsräson. Der Vorlauf einer vermurxten „Wiedervereinigung“ und die nicht aufgearbeitete Vergangenheit des Kalten Kriegs in Deutschland unbesehen: Hier wollten eine Menge Leute Altbekanntes wiedersehen und vom Neuen nicht allzu sehr behelligt werden.
Dass die aus dem Westen nach Dresden berufenen Chefs und Chefinnen mit alten Positionen vielleicht zu massiv aufgeräumt haben, auch um Platz für dissidente Kunst aus Osteuropa zu schaffen, wurde in mehreren Runden öffentlich debattiert und durchgearbeitet. Derweil nutzte Pegida die Bühne, um mit ihren rassistischen Ressentiments an die nationalistisch-regionalen Argumentationsmuster anzuschließen, was umgekehrt stadtweite Empörung hervorrief: Essentialistische Identitätspolitiken und Opfer(selbst)stilisierungen allenthalben.
Diese Ausgangslage fand die im Osten sozialisierte Kuratorin Kathleen Reinhardt vor, als sie ihre taktisch klug positionierte Ausstellung „1 Million Rosen für Angela Davis“ vorzubereiten begann. Für deren Konzeption sind, wie sie sagt, „diese vielen gegenseitigen Missverständnisse und Ausblendungen zentral“.
Die Finte der Kuratorin des außergewöhnlichen Projekts: Sie nutzt das positive Sentiment gegenüber der Marxistin, um es mit einer Perspektive auf „schwarze“ Kunst und DDR-Kritik zu erweiterten und so an „bisher durch die Antworten verdeckten Fragen“ zu gelangen.
Staatstragende Tafelbilder
Während Paul Kaiser und seine Mitstreiter die eher staatstragenden Angela-Davis-Tafelbilder von Bernhard Franke, Gerhard Goßmann oder Willi Sitte bewundernd erinnern, die auf der VII. Kunstausstellung der DDR 1972/73 im Albertinum zu sehen waren, oder sich an Postkarten und Schallplatten mit und über Angela Davis laben können, kommen sie doch nicht umhin, mit dem Widerspruch zwischen „Freiheit für Angela Davis“ und – etwa in den kontrastierend gesetzten Arbeiten von Gabriele Stötzer oder Nasan Tur – mit der Vielzahl politischer Gefangener in der DDR konfrontiert zu werden.
Bis 30. Mai 2021, Albertinum in der Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden, Katalog (Mousse Publishing) 27 Euro
Zudem müssen sie feststellen, dass die Schwestern und Brüder von Angela Davis nun mit einer ganzen Reihe eigener Kunstwerke vertreten sind, um so noch ganz andere Lücken musealer Geschichtsschreibung aufzuzeigen. Die antiimperialen und internationalistischen Erinnerungen einer in der DDR groß gewordenen Generation sind wirkmächtig und häufig mit einem Helfersyndrom unterfüttert. Man fühlte sich als Teil einer globalen Bewegung und wollte doch die „Fremden“ lieber nicht zu nahe rücken lassen.
Auf Du und Du mit der Revolutionärin
Die „Angelamania“, wie es Time 1972 nannte, spiegelt sich in den mit Unterstützer-Postkarten gefüllten Umzugskisten wider, die nach Kalifornien geschickt worden waren, aber auch im Jubel der Jugendlichen, als sie die aus der Haft entlassene Davis 1972 am Flughafen Berlin-Schönefeld erkannten. Bei ihrem Auftritt auf den X. Weltfestspielen der Jugend 1973 wähnte sich die DDR-Nomenklatura auf Du und Du mit der Revolutionärin – Genoss:Innen duzen sich, mag die Personen sonst viel trennen.
Angela Davis hat nie auf Briefe ehemaliger politischer Gefangener in Osteuropa öffentlich reagiert: „Wenn ich über Dresden spreche, möchte ich darauf hinweisen, dass mein Bewusstsein für Dresden aus der Zeit stammt, als ich in […] Frankfurt am Main studierte, aber ich habe die Deutsche Demokratische Republik mehrmals besucht. […] Wir bewohnen immer die Überreste und die Sedimente der Vergangenheit. […] ich fand es einmal sehr schwierig, eine Beziehung zur Politik der Repräsentation zu entwickeln, in der mein eigenes Bild eine Rolle spielte.“ Die ikonische Heldin des „anderen Amerikas“ wurde von alten Männern der DDR hofiert – viele von ihnen waren früher selbst Straßenkämpfer, Widerstandskämpfer, politische Gefangene.
„Angela Davis wurde von der Regierung als kommunistischer Popstar aufgebaut, stilisiert und somit als Bindeglied an diese sich langsam entfernende Generation positioniert“, schreibt die Kuratorin im Katalog und markiert eine für die DDR existenzielle Krise. Während sich die DDR als antirassistischer Staat profilierte und Davis zum Teil der sozialistischen Ikonografie machte, war Alltagsrassismus in der DDR allgegenwärtig.
In den Katalogbeiträgen Schwarzer Deutscher wird deutlich, welche Kraft sie aus Angela Davis’ Präsenz schöpfen konnten: „Es waren die wenigen Momente in meiner Kindheit, in denen ich spürte, dass Schwarze Leben zählen, wertvoll sind, dass Schwarzen Leben Wert beigemessen wird. Erst viel später habe ich dann die eigentliche Geschichte der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in der Schule gelernt. Das waren aber weiße Geschichtsnarrative“, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche im Katalog über konfliktreiche Erinnerungen.
Wirkmächtige deutsche Abhörtechnik
Neben einer ganzen Reihe eingeladener Arbeiten – von Gemälden in Erinnerung an über Bord geworfene SklavInnen von Ellen Gallagher bis hin zu Laurence Abu Hamdans Arbeit über einen in der DDR erfundenen Gefängnistypus, dessen spezielle Bauart die Abhörtechnik im Inneren der Haftanstalt perfektionierte, was noch heute in syrischen Folterknästen zur Anwendung kommt – entwickelten Contemporary And (C&), Steffani Jemison, Justin Hicks, Ângela Ferreira oder Lewis Watts neue Arbeiten. Die in Halle geborene Künstlerin Elske Rosenfeld erinnert in ihrer Installation an die Dissidentin Erika Bertold, die in Opposition zu den Claqueuren spontan Angela Davis umarmte, um so die verklemmte Star-Bewunderung zu durchbrechen: „Völkerfreundschaft“ gegen das Protokoll.
Angela Davis wurde selbstverständlich auch in den anderen sozialistischen Ländern Osteuropas verehrt, genau wie im revoltierenden Westen. Davis’ Doktorvater Herbert Marcuse hatte ihr ein Studium bei Adorno vermittelt. In Frankfurt schloss sie sich dem SDS an und nahm an Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg teil. Im Juni 1968 wird sie Mitglied der Kommunistischen Partei der USA.
Ihre Zulassung als Universitätsdozentin muss sie gegen eine vom damaligen kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan initiierte Kampagne gerichtlich durchsetzen. Ihre Studien und Kampagnen gegen den „gefängnisindustriellen Komplex“ haben große Wellen geschlagen und speisen sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass Davis selbst wohl nur dank der weltweiten Solidaritätskampagnen 1972 der Todesstrafe entronnen war. „Seize the Time“, eine parallele Wanderausstellung in Oakland und New Jersey, nimmt sich der US-Ikonografie an. Hierbei greifen die Kurator*innen Gerry Beegan und Donna Gustafson auf das Angela-Davis-Archiv der in Oakland lebenden Sammlerin und Kuratorin Lisbet Tellefsen zurück.
Die Umarmung der Unterdrückten führt zur Atemlosigkeit letzterer. Wie viele andere setzte auch Paul Michaelis, Maler und ehemals Rektor der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, Angela Davis 1972 in Szene. Sein Gemälde wurde zuletzt in einem Betrieb des VEB-Kombinats Robotron gesehen und gilt seither als verschollen: Es verschwand auf dem Weg ins Depot Schloss Beeskow, vielleicht ein letzter (Befreiungs-)Akt von der Angelamania?
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