Angeblicher Überflug: Israelisch-syrischer Politthriller
Nach dem angeblichen Munitionsabwurf israelischer Jets auf syrisches Territorium schweigen die Beteiligten. Wurde Waffennachschub für die Hisbollah bombardiert?
Das neueste Kapitel der syrisch-israelischen Beziehungen liest sich immer mehr wie ein Politthriller. Eröffnet wurde es vor einer Woche mit einer Meldung der amtlichen syrischen Nachrichtenagentur. Darin hieß es, die syrische Luftabwehr habe in der Nacht zu Donnerstag, dem 6. September, das Feuer auf israelische Flugzeuge eröffnet, die in den syrischen Luftraum eingedrungen waren. Die israelischen Flugzeuge seien vom Mittelmeer aus entlang der türkischen Grenze nach Nordsyrien geflogen und hätten "Munition" abgeworfen. Sie seien jedoch mit der syrischen Luftabwehr konfrontiert worden, die sie zur Flucht gezwungen hätte. Zu Schaden gekommen sei jedoch niemand.
Obwohl die Syrer diese Woche vor dem UN-Sicherheitsrat offiziell wegen der"israelischen Aggression und der Verletzung syrischer Souveränität" Beschwerde eingelegt haben, geben sie jedoch keine weiteren Auskünfte. Das syrische Fernsehen veröffentlichte keine Bilder von der Abwurfstelle, auch genauere Angaben über die Anzahl und den Typ der Flugzeuge sowie über die abgeworfene "Munition" wurden nicht gemacht.
Die israelische Seite hüllt sich derweil völlig in Schweigen. "Ich habe keine Ahnung, wovon die Syrer reden", erklärte Israels Premier Ehud Olmert auf Anfrage der israelischen Tageszeitung Haaretz. Und der israelische Präsident Schimon Peres bezeichnete die Episode als "alte Geschichte, über die es sich nicht mehr zu sprechen lohnt." Journalisten klagen über die ungewohnte Strenge der israelischen Militärzensur.
Ein Hinweis, dass tatsächlich etwas geschehen ist, kam vor wenigen Tagen aus Ankara, als die türkischen Behörden von Israel Informationen über israelische Treibstofftanks einforderten, die nahe der syrischen Grenze abgeworfen worden sind. Jagdflugzeuge werfen Treibstofftanks ab, wenn sie schneller werden wollen. So weit die Fakten.
Ausgelöst hat die Saga nun wilde Spekulationen darüber, welche Mission die israelischen Kampfjets in Syrien verfolgt haben könnten. Mehrere Theorien machen derzeit unter Journalisten und Militärfachleuten die Runde. Die neueste stammt von nicht namentlich genannten Quellen der US-Regierung. Diese behaupten, es sei mindestens ein Ziel in Syrien getroffen worden, und das zur israelischen Zufriedenheit - was sowohl das israelische wie das syrische Schweigen erklären würde, schließlich sind die Kampfjets tief auf syrisches Territorium vorgedrungen.
Was genau bombardiert wurde, darüber gibt es wiederum in Washington zwei Spekulationen. Die eine lautet, ein Waffennachschublager für die libanesische Hisbollah sei getroffen worden. Nach unbestätigten Informationen des US-Fernsehsenders CNN sollen dabei sogar israelische Bodentruppen zum Einsatz gekommen sein. Seit einigen Monaten mehren sich die Berichte, dass die Hisbollah nach dem Libanonkrieg im letzten Sommer ihre Waffenarsenale mit Hilfe des Iran und Syriens wieder aufgefüllt habe. Die israelische Operation in Syrien wird in dieser Version als "Warnschuss" an Syrien angesehen. Syriens UN-Botschafter Baschar Dschaafari bezeichnete dieses Szenario jedoch wörtlich als "vollkommenen Blödsinn".
In der New York Times wird darüber spekuliert, ob der angebliche Angriff mit nicht bestätigten Meldungen im Zusammenhang stehe, laut denen in Syrien Material oder Technologie gelagert sein soll, die aus dem nordkoreanischen Atomprogramm stammen. Der ehemalige US-Botschafter bei der UN, John Bolton, hatte diesen Vorwurf vor kurzem in einem Artikel im Wall Street Journal erhoben. Eine weitere Theorie wurde am Wochenende breit in den arabischen Medien diskutiert. Danach könnte die israelische Luftwaffe die syrische Luftverteidigung getestet haben, um damit einen möglichen Luftangriff auf iranische Atomanlagen durchzuspielen. Die syrische Armee ist mit neuen russischen Luftabwehrraketen ausgerüstet worden. Auch diese These ist begründbar: Nachdem sie das syrische Territorium überflogen haben, müssten die israelischen Jets nur noch über irakisch-kurdisches Gebiet fliegen, und dann hätten sie den iranischen Luftraum erreicht.
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