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Angeblicher US-Friedensplan für UkraineNicht gerade dienlich

Der angebliche 28-Punkte-Plan der USA zur Ukraine setzt Präsident Selenskyj unter Druck. Er muss jetzt Meisterleistungen vollbringen.

Kämpft an vielen Fronten: Präsident Selenskyj bei einer Besprechung mit Soldaten in der Region Donezk Foto: Ukrainian Presidential Press Office via ap

Überlebenstage eines Präsidenten: Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hat an so vielen Fronten zu kämpfen, dass der selbsternannte „Diener des Volkes“ bald ausgedient haben könnte. Zu dem Korruptionssumpf, in dem Weggefährten, Vertraute und Ministerinnen versinken, kommt nun noch ein vermeintlicher „Friedensplan“ hinzu, den Steve Wittkoff, der Sondergesandte des US-Präsidenten Donald Trump, mit dem russischen Unterhändler Kirill Dmitrijew laut übereinstimmenden Medienberichten ausgehandelt haben soll.

Selenskyj wollte noch am Donnerstagabend US-Vertreter in Kyjiw treffen, um über die angeblichen amerikanisch-russischen Geheimgespräche zu sprechen, über die es zunächst nur Presseberichte und ausweichende Aussagen von US-Außenminister Marco Rubio gab: Das seien bisher nur „Ideen“.

Der neue, 28 Punkte umfassende US-Vorschlag zur Beendigung des Krieges sieht laut Medien vor, dass Kyjiw den Donbass (die Oblaste Luhansk und Donezk) sowie die Krim an Russland abtritt. Zudem solle die Zahl der ukrainischen Streitkräfte halbiert werden, keine ausländischen Truppen sollen ukrainischen Boden betreten und Kyjiw dürfe keine Langstreckenwaffen mehr haben.

Die europäischen Verbündeten Kyjiws reagieren zurückhaltend, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte: „Damit jedweder Friedensplan funktioniert, müssen die Ukrainer und die Europäer an Bord sein.“

„Politische Zwangsmittel“ für die Ukraine

Der Kyjiwer Politikanalyst Ihar Tyschkewitsch ist jedoch überzeugt: Wenn der nach Kyjiw entsandte US-General und Vertraute von US-Vizepräsident J. D. Vance, Dan Driscoll, „als Ergebnis der Reise das ‚Einfrieren des Krieges‘ empfiehlt, wird die Entscheidung schnell getroffen und dem ukrainischen Präsidenten mit einer gehörigen Portion politischer Zwangsmittel nahegebracht“.

Die Berichte über die für die Ukraine unannehmbaren Bedingungen fallen in eine Zeit der sich aus Sicht Kyjiws täglich verschlechternden militärischen Lage. Die immer blutiger umkämpfte, von russischen Streitkräften zu drei Vierteln umschlossene Stadt Pokrowsk könnte in Kürze fallen. Und in der Ukraine tobt eine Diskussion, ob zum Schutz des Lebens ukrainischer Soldaten die zur Festung ausgebaute Stadt im Donezker Gebiet geräumt werden sollte. Oder ob dann die Moral der Truppen zusammenbreche.

Die „Übergabe der noch nicht besetzten Gebiete der Region Donezk an Russland und das Einfrieren der Frontlinie im Süden der Ukraine würde Russland unverhältnismäßig in die Hände spielen“, meinen die Analysten des renommierten Institute for the Study of War (ISW). Das Gebiet der Region Donezk, derzeit unter ukrainischer Kontrolle, umfasse auch den „Festungsgürtel“ des Donbass – die Städte Druschkowka, Konstantinowka, Kramatorsk und Slawjansk. „Diese Städte bilden seit 2014 die Hauptverteidigungslinie der Ukraine in der Region und sind wichtige Verteidigungs-, Industrie- und Logistikzentren“, so das ISW.

Russland hatte seit 2014 vergeblich versucht, den „Festungsgürtel“ in der Region Donezk einzunehmen. Die Aufgabe der stark befestigten regierungskontrollierten Teile des Donezbeckens würde die Gefahr eines Vorstoßes russischer Truppen bis tief in die Gebiete Saporischschja und Dnipro „sprunghaft erhöhen“, sagt Andreas Umland, Ukraine-Experte des Stockholm Centre for Eastern European Studies.

Und es käme zu erheblichen Debatten über Selenskyj und seine Regierung mit der Armee. Vor einem „Dolchstoß“ wird bereits in Armeekreisen gesprochen. Dabei brennt schon jetzt innenpolitisch die Hütte: Seit Aufkommen des Korruptionsskandals um veruntreute Gelder im ukrainischen Atomministerium sind Teile der Fraktion von Selenskyjs Partei Diener des Volkes inzwischen bereit, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden – also die Vormachtstellung des Präsidenten und das Durchregieren in der Werchowna Rada zu beenden.

„Selenskyjs Führungs- und politischen Entscheidungen in den nächsten sieben bis zehn Tage sind entscheidend“, so Analyst Tyschkewitsch. Denn der Unmut über den Korruptionsskandal erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung. Dazu kommt, dass die massiven russischen Luftangriffe inzwischen dazu geführt haben, dass das staatliche Energieunternehmen Ukrenergo landesweite Stromsperren für 10 bis 16 Stunden täglich ankündigt. Unternehmen könnten zeitweise vollständig abgeklemmt werden.

Zudem warnt der Energieexperte Serhij Kujon bereits vor einem „Dieseldefizit“ im Land, da nicht mehr genügend Treibstoff importiert werde. Und mit Diesel laufen alle Generatoren, die sich Fabriken, Restaurants und Krankenhäuser angeschafft haben, um arbeiten zu können.

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