: Angeblich Gefangenenaustausch in Tschetschenien
■ Während in Grosny heftig gekämpft wird, soll in Südtschetschenien angeblich schon wieder verhandelt werden. Beide Seiten machen sich schwere Vorwürfe
Moskau (taz/dpa) – Nur eines war in Tschetschenien gestern sicher: Es wurde weiter geschossen. Ansonsten konnten die Nachrichten aus der umkämpften Hauptstadt Grosny kaum widersprüchlicher sein.
Erst hieß es aus Moskau, Angaben der tschetschenischen Rebellen, beide Seiten hätten sich auf einen Waffenstillstand geeinigt, entbehrten jeglicher Grundlage, die Gespräche seien abgebrochen worden, weil die Tschetschenen wie immer ihre Unabhängigkeit gefordert hätten. Dann meldeten russische Nachrichtenagenturen unter Berufung auf das russische Oberkommando, Vertreter der russischen Truppen und der Rebellen seien erneut zu Gesprächen nach Südtschetschenien aufgebrochen. In der Gegend des Ortes Nowyje Atagi, südlich von Grosny, sei am Abend ein Treffen zwischen den Stellvertretern der Militärführung der Rebellen und des Militärs geplant. Die russische Agentur Itartass berichtete gar von einem ersten Gefangenenaustausch. In einem Stadtteil Grosnys hätten russische Soldaten den Tschetschenen neun Kämpfer übergeben. Die Tschetschenen hätten neun Russen freigelassen.
Unterdessen wurden gestern bei einem russischen Luftangriff auf einen Lastwagen nach Angaben der prorussischen Führung Tschetscheniens 29 Menschen getötet. Unter den Opfern seien auch Kinder. Bei einem weiteren Luftangriff seien auf einem Friedhof sechs Menschen getötet worden. Nach Rebellenangaben griff die russische Luftwaffe auch einen Flüchtlingskonvoi an.
Die Kämpfe in Grosny konzentrierten sich am neunten Tag auf das Zentrum, den Minutka-Platz sowie die Vororte Tschernoretschje und Staropromyslowski. Die russischen Streitkräfte wiesen Berichte zurück, daß zusätzliche Eliteeinheiten nach Tschetschenien verlegt werden sollten. Ein Vertreter des russischen Stabs räumte ein: „Alle Versuche der russischen Soldaten, sich im Zentrum festzusetzen, blieben erfolglos.“ Beide Seiten hätten bei den Kämpfen große Verluste erlitten. Im Norden Grosnys bewegten sich die Rebellen laut Itartass frei auf den Straßen.
Die Rebellen vereitelten nach eigenen Angaben den Versuch der Russen, zusätzliche Panzertechnik auf dem Schienenweg vom östlich gelegenen Gudermes nach Grosny zu transportieren. Dabei sei es zu einem Gefecht gekommen, bei dem 30 Soldaten getötet worden seien. Im russischen Stab hieß es, Tschetschenen hätten eine Eisenbahnbrücke über den Fluß Dschalko zerstört. Auf dem Schienenweg sollten nach diesen Angaben Medikamente und Lebensmittel nach Grosny gebracht werden.
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