Das laute Schweigen nach Neubauers Rücktritt

Sachsens Vizeministerpräsident Günther fordert eine Reaktion der CDU nach dem Rücktritt von Landrat Neubauer: „Das muss ein Weckruf sein“

Dirk Neubauer (parteilos) begründete seinen Rücktritt mit den Worten: „Ich gebe auf, weil da draußen zu viele den Mund halten“ Foto: Sebastian Willnow/dpa

Aus Leipzig David Muschenich

Die CDU müsse sich stärker für die Demokratie einsetzen, fordert Sachsens Vizeministerpräsident Wolfram Günther (Grüne). Wenn sich „engagierte Menschen“ aus ihren Ämtern zurückziehen, sei das ein Schaden für die Demokratie. Kurz zuvor hatte der Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer seinen Rücktritt angekündigt. Der parteilose 53-Jährige hatte sich stets deutlich gegen extrem rechte Parteien gestellt und für progressive Politik sowie die Energiewende geworben.

In einem zwanzigminütigen Video hatte Neubauer erklärt: „Ich gebe auf, weil da draußen zu viele den Mund halten.“ Zwei Jahre war er im Amt und hätte noch bis 2029 bleiben können. Aber weil in seiner Region der Gestaltungswillen fehle und er seit Monaten von Rechten bedroht werde, wolle er seinen Posten schnellstmöglich räumen.

Laut Vizeministerpräsident Günther ist Neubauer mit dieser Entscheidung nicht allein. „Mir haben Bür­ger­meis­te­r*in­nen gesagt, dass sie nicht mehr antreten, weil sich die Lage so geändert hat“, so Günther zur taz. Genauso sei es bei Landtags- und Bundestagsabgeordneten.

Vergangene Woche kündigte auch Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) aus dem Vogtland an, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. „Ich habe viel an Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit erlebt. Das raubt Kraft“, begründete sie. Ähnlich klang es Anfang des Monats auch beim Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby (SPD) aus Sachsen-Anhalt.

Vizeministerpräsident Günther glaubt: „Das muss ein Weckruf sein. Wenn engagierte Menschen keine Verantwortung mehr übernehmen wollen, dann ist der Schaden für die Demokratie eingetreten.“ Das Problem seien dabei nicht nur die Extremist:innen. „Dass manche Menschen nicht mit Fakten klarkommen, wird man wahrscheinlich nie ändern können“, sagt Günther. Verändern könne sich aber die „Mitte der Gesellschaft, die für ihre Werte eintreten und Extremisten widersprechen muss“. Mit der „Mitte der Gesellschaft“ meine Günther auch seinen Koalitionspartner: „Die CDU, die ja von Neubauer ausdrücklich adressiert wurde, sollte sich Gedanken machen, wie sie die Demokratie stärker verteidigen kann.“

David Begrich, Theologe, Sozialwissenschaftler und Experte für Rechtsextremismus, sieht als einen der Gründe für die Rücktritte, dass extrem rechte Parteien stärker werden. Zum Beispiel hat die AfD laut Begrich ein intrinsisches Interesse an Polarisierung. Allerdings zeigt er wenig Hoffnung, dass der Rücktritt von Neubauer zu einer Änderung führt: „Ich fürchte, diese Anfeindungen bekommen zwei Tage lang Aufmerksamkeit, dann sinkt das wieder ab.“ Eigentlich wünsche er sich, „die Normalisierung würde von höherer Ebene konfrontiert.“ Damit meine er beispielsweise Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

Bisher äußerte sich Kretschmer nicht zum Rücktritt Neubauers. Auch Stefan Hartmann, Landesvorsitzender der Linken in Sachsen, kritisiert das: „Während der Ministerpräsident fleißig die Weltlage kommentiert, zeigt er sich bei wichtigen Themen im eigenen Bundesland erstaunlich wortkarg.“ Dabei sei es Aufgabe der „demokratischen Kräfte“, kommunale Amts­in­ha­be­r:in­nen zu unterstützen.

„Kretschmer ist bei wichtigen Themen im eigenen Bundesland erstaunlich wortkarg“

Stefan Hartmann, Linke Sachsen

Statt Kretschmer äußerte sich Susan Leithoff, Kreisvorsitzende der CDU Mittelsachsen und Landtagsabgeordnete. Sie sagte: „Wir stellen uns komplett dagegen, wenn es zu Übergriffen auf Politiker kommt.“ Das sei selbstverständlich. Allerdings seien Äußerungen eben von der Meinungsfreiheit gedeckt, „bis es strafrechtlich relevant wird“. Neubauer habe zudem mehrere Gründe für seinen Rücktritt angegeben. Sie unterstellte ihm unter anderem mangelnde Weitsicht: „Herausforderungen kennen auch andere Landräte. Der Unterschied ist, dass die sich dem mit Weitsicht stellen. Das ist, was ich unter Verantwortung verstehe“, sagt Leithoff.

Vizeministerpräsident Günther sieht das deutlich anders: Der Rücktritt Neubauers werfe auch den Landkreis als „wichtigen Industriestandort in Sachsen“ zurück, sagt er: „Wenn er nicht seine Energiepolitik vorantreibt, fragen sich Unternehmen, ob sie da weiter investieren wollen.“