Andreas Speit Der rechte Rand: Wenn eine Drohbrief-Serie auf eine reale Bedrohungslage trifft
Die Hassbotschaften zeigen Wirkung: Zuletzt sind bundesweit mehr als 30 mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnete Drohbriefe bei Moschee-Gemeinden – und einige wenige auch bei christlichen Gemeinden – eingegangen. Die meisten in Niedersachsen. Nach einem erneuten Drohbrief hat der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs in Hannover, Recep Bilgen, nun Polizeischutz gefordert. Grundlegende Sicherheitsmaßnahmen müssten ergriffen werden. „Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Behörden dürfen nicht warten, bis etwas passiert.“
In den Briefen wird unverhohlen gedroht. In einem heißt es etwa: „Macht weiter so und der Tag ist nicht mehr fern, an dem wir es mit euch so machen, wie wir es mit den Juden gemacht haben. Dummer dummer Islam.“ Über dem Kürzel „NSU 2.0“ prangt ein Hakenkreuz, hingekritzelt mit blauem Filzstift.
Das Kürzel „NSU 2.0“ ist eine Anspielung auf das rechtsextreme Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, dessen Mitglieder zwischen 2000 und 2007 acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin ermordeten. In einem Bekennervideo des NSU heißt es: „Wir kommen wieder“, der Rosarote Panther führt zu den Tatorten. „Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage“, trällert das Lied aus dem Zeichentrickfilm.
Der Satz „Wir kommen wieder“ mag überinterpretiert sein. Die Bedrohungslage ist real. In der Nacht zum 30. Mai 2023 etwa wurde in Hannover ein Restaurant in der Nähe einer Moschee mit einem Molotowcocktail angegriffen. Genau einen Tag vor dem 30. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen, bei dem 1993 fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen von vier Rechtsextremisten ermordet wurden. Bei dem Übergriff in Hannover sei jetzt lediglich Sachschaden entstanden, sagte Bilgen. „Dennoch ist dieser Anschlag ein alarmierendes Zeichen für die zunehmende Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft.“ Auch die Drohbriefserie kann als Ausdruck dessen gelesen werden.
Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Osnabrück haben bislang keinen direkten Zusammenhang zwischen Anschlag und Drohbriefen ergeben. Die Osnabrücker Behörden sind zuständig, weil seit 2018 eine Familie aus der niedersächsischen Stadt als angeblicher Absender genannt wird. Die Familie habe mit den Briefen aber nichts zu tun, sagte ein Polizeisprecher. Ermittelt wird gegen Unbekannt wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung, Verleumdung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Von den 34 bisher bekannten Drohbriefen gingen allein elf in Niedersachsen ein. Fünf in Osnabrück. Auch Gemeinden in Bramsche und im Landkreis Diepholz wurden angeschrieben. Die Ditib-Gemeinde in Göttingen erhielt im November 2022 und erneut im Mai 2023 einen Drohbrief. Die mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Briefe gingen auch an Moscheen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg.
Es ist nicht die erste Serie dieser Art. Von 2018 bis 2021 richteten sich Hassbotschaften eines „NSU 2.0“ aber vor allem an Prominente, die sich gegen Rassismus engagieren, Todesdrohungen inklusive. Und teilweise waren die Briefe mit privaten Daten versehen, die zuvor auf Polizeirevieren in Hessen und Hamburg abgerufen wurden. Dieser Verdacht, der auf der Polizei liegt, ist für viele Betroffene nicht aus dem Weg geräumt.
Die Verunsicherung in den Moschee-Gemeinden wachse mit jedem Drohbrief, sagt nun Recep Bilgen. Diese Angst werde noch verstärkt, weil die Polizei nicht wisse, wer dahintersteckt.
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