Andreas Speit Der rechte Rand: Wie an Opfer rechter Gewalt erinnert wird
Zehn Namen. Kaum jemand kennt sie, kaum jemand benennt sie. In Niedersachsen haben rechtsextreme Täter seit 1990 zehn Menschen ermordet. Jedoch sind die Getöteten nicht als Opfer rechter Gewalt staatlich anerkannt und gesellschaftlich erinnert. „Nicht erinnert, heißt vergessen“, sagt Friederike Wansing von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus – für Demokratie“ (MBT) in Niedersachsen. Sie hat die Wanderausstellung „Erinnern heißt kämpfen“ kuratiert, die nun in Hannover im Kulturzentrum Pavillon erstmals eröffnet hat.
Die Ausstellung zeigt die Ermordeten aber nicht bloß als Opfer, sondern auch als Menschen. Sie bringt nicht bloß die Namen und Tathintergründe in die Öffentlichkeit. Sie stellt das Leben der Getöteten vor: Von Kolong Jambas, der Schwarz war, von Helmut Leja, Gerhard Fischhöder und Christian Sonnemann, die alkoholkrank und obdachlos oder in Sozialwohnungen lebten, von Gustav Schneeclaus, der Hitler als „einen großen Verbrecher“ bezeichnete, von Peter Deutschmann, der zwei Neonazi-Skins aufgefordert hatte, „den Scheiß mit dem Skinhead-Gehabe“ sein zu lassen, von Alexander Selchow, der gern schwarze Kleidung trug, und von Matthias Knabe, der einen bunten Iro hatte.
Zusammen mit der Betroffenenberatung Niedersachsen, einer Anlaufstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, sowie dem zivilgesellschaftlichen Ausstiegsprogramm Distance, das Personen, die sich rechtsextremen Gruppierungen zugewandt haben, auf dem Weg zurück in die Zivilgesellschaft helfen will, hat die MBT für die Ausstellung Bilder, Videos und Audios zusammengestellt. So auch von einer damals 44-Jährigen, die im Oktober 2012 mit ihrem rechtsextremen Mörder zusammenkam: In dessen Hannoveraner Wohnung macht sie sich über die rechte Gesinnung des damals 25-Jährigen Alexander K. lustig – und bezeichnete Hitlers „Mein Kampf“ als „Scheiß“. Alexander K. stach sie nieder, zerstückelte den Körper und warf die Leichenteile in den Maschsee.
Andreas Speitarbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.
Im Internet präsentierte sich K. unter dem Künstlernamen „Sash JM“ mit gewaltverherrlichenden, frauenfeindlichen und rechtsextremen Rap-Videos. Der politische Hintergrund war 2013 dem Gericht bekannt. „Aber die rechtsextreme Gesinnung von K. hat in der Urteilsbegründung dann nur eine untergeordnete Rolle gespielt“, sagte die Gerichtssprecherin damals der taz. Die Konsequenz: Die Getötete ist eben nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt.
Rechtsextreme Gewalt, das zeigt die Ausstellung, richtet sich auch gegen Szenemitglieder und dessen Familienangehörige: Unter den nicht anerkannten Opfern sind auch Hans-Peter Zarse und Sighild B. Im März 1993 brachte ein Neonazi-Skin Zarse um, der einer Skingruppe in Uelzen angehört hatte. Sighild B. starb am Heiligabend 2009: Das vierjährige Mädchen bekam von ihren Eltern, völkische Siedler aus der Region Uelzen, nicht die notwendige Medizin. Die Eltern glaubten an die „Germanische Neue Medizin“, nach der Krankheiten ein innerer Konflikt zugrunde läge.
Im bundesweiten Vergleich steht Niedersachsen bei der staatlichen Anerkennung von Todesopfern rechter Gewalt schlecht dar. „Staat und zivilgesellschaftliche Beobachter*innen kommen regelmäßig zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen“, so der Politikwissenschaftler Christoph Kopke, der als Beiratsmitglied die Ausstellung begleitete. „Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: Sie liegen zum einen in unterschiedlichen Definitionen, manchmal am mangelnden Willen staatlicher Stellen, politische Motive zu erkennen“, sagt Kopke. „Aber manchmal sind die Fälle auch tatsächlich kompliziert und lassen verschiedene Interpretationen zu.“ Die Ausstellung ist somit auch als eine Aufforderung zu verstehen: „Wir wünschen uns eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der niedersächsischen Todesfälle rechter Gewalt“, fordert Wansing.
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