Andreas Speit Der rechte Rand: Wenn Linke im ländlichen Raum bedrohlich wirken
Die Polizei hatte die Stimmung mit aufgeladen: Bei der Internetrecherche zu einer Demonstration des „Offenen Antifaschistischen Treffens Einbeck“ (OATE) waren die Beamt*innen auf die Formulierung „Einbecker Nazistrukturen angreifen“ gestoßen – und hatten ein Verfahren wegen Aufrufens zu einer Straftat eingeleitet. Trotzdem kamen am Samstag über 350 Menschen zu der Demonstration, die friedlich ablief, obwohl Anhänger*innen „Der Rechten“ ebenfalls aufmarschiert waren.
In ländlichen Regionen ist in letzter Zeit ein altes Deutungsmuster wieder zu beobachten: Nicht die Rechtsextremen in der eigenen Stadt oder Gemeinde werden als gesellschaftliches Problem gesehen, sondern die Personen, die sich für eine öffentliche Auseinandersetzung mit Rechten starkmachen, rechtsextreme Brandschläge nicht verschweigen wollen oder rechte Netzwerke vor Ort bekannt machen. Sie gelten als jene, die die Rechten auch noch provozierten. Würden „die Linksextremen“ nichts unternehmen – so das Credo – würden „die Rechtsextremen“ auch die Füße stillhalten.
Ein Brief des Vereins „Einbecker Altstadt Wochenmarkt“ an die Bürgermeisterin verdeutlicht die Situation. Die Wochenmarktbestücker*innen wünschten sich ein Verbot der Samstagsdemonstrationen und baten die Bürgermeisterin, die Anzahl der Demos auf das absolut Notwendige zu reduzieren.
Der Anlass der Demonstration des OATE war ein Anschlag am 10. Juni auf eine antifaschistisch engagierte Einbeckerin gewesen. Zwei Rechtsextreme hatten einen Sprengsatz in ihrem Briefkasten platziert. Die Explosion war so stark, dass Teile des Kastens mehrere Meter weit geschleudert wurden. Ein Rechter verletzte sich dabei selbst. Doch die Polizei erwähnte den Vorfall in ihrer Pressemitteilung an jenem Tag nicht, sondern zählte lediglich Verkehrsunfälle, eine Tierrettung, berauschte Autofahrer, gestohlene Absperrbänder und einen tätlichen Angriff auf Polizisten auf. Der Anwalt der Betroffenen machte den Anschlag öffentlich.
Andreas Speitarbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.
„Gerade die Menschen, die sich im ländlichen Raum für Geflüchtete oder gegen Rechtsextremismus engagieren, brauchen Unterstützung für ihre immens wichtige Arbeit“, sagt der Ex-Einbecker Thorsten Nagel. Er hat im Jahr 2016 auf dem Label Springstoff einen Solidaritäts-Sampler unter dem Titel „Refugees Welcome – Gegen Jeden Rassismus“veröffentlicht, mit Songs von Feine Sahne Fischfilet, Antilopengang und Sookee. Aus dem Resterlös spendete er 600 Euro an das OATE. „Als ich von dem rechtsextremen Sprengstoffanschlag gegen die Antifaschistin hörte, wollte ich solidarisch sein“, sagt Nagel.
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