Andreas Rödder über Parteitagsabsage: „Terminfragen sind Machtfragen“
Die Absage des Parteitags ist ein Machtinstrument, sagt der Historiker Andreas Rödder. Vertagen helfe nicht, man müsse eine Entscheidung treffen.
taz: Herr Rödder, Friedrich Merz hält die Verschiebung des Parteitags für eine Intrige des Parteiestablishments gegen ihn. Ist das einleuchtend?
Andreas Rödder: Ja, es wäre besser gewesen, den Parteitag digital abzuhalten und per Brief zu wählen, selbst wenn das umständlich ist. Denn jetzt ist unklar, wann das Machtvakuum an der Spitze überhaupt endet. Das ist in einem Wahljahr gefährlich. Es fragt sich also, warum.
Die Absage des Parteitags ist ein gezielter Versuch, Merz zu schaden?
Die Absage ist eine Folge der Pandemie. Aber sie ist auch ein Machtinstrument. Terminfragen sind Machtfragen.
Aber wären Merz' Chancen in zwei, drei Monaten denn geringer?
Zumindest ungewisser. Das Parteiestablishment versucht, damit seine Position zu schwächen. Damit hat Merz recht.
Merz gibt den Anführer einer Revolte der Parteibasis gegen das Establishment – diese Figur erinnert an populistische Politik. Funktioniert das in einer bürgerlichen Partei wie der CDU?
Ich sehe das anders. Die Parallele zu Trump liegt bei denen, die mit Wahlverschiebungen spielen, nicht bei ihrem Kritiker. Die Vorbehalte des CDU-Parteiestablishments gegen Merz sind ja seit 2018 unübersehbar. Merz muss sich nicht zum Anführer der Basis stilisieren. Die Situation gibt es schon seit zwei Jahren. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung hat gezeigt, dass die Basis konservativer ist als die Parteispitze.
Jahrgang 1967, ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Zudem ist er selbst Mitglied der CDU.
Geht Merz mit dem harten Vorwurf, dass Laschet ihn unfair austrickst, nicht ein sehr hohes Risiko ein?
Was hätte er sonst machen sollen? Armin Laschet hat die Verschiebung des Parteitags in die Öffentlichkeit gebracht, als eine Forsa-Umfrage erschien, die zeigte, dass Merz bei der CDU-Basis viel populärer ist als Laschet. Das ist ein zumindest auffälliger zeitlicher Zusammenhang. Die Frage für Merz war schon seit Langem: Soll er die Karte spielen, dass er bei den Mitgliedern weit beliebter ist als beim Parteiestablishment – oder nicht? Das hat er jetzt getan. Aber als Reaktion.
Finden Sie auch, dass Merz zu oft Ich sagt?
Das ist mir bisher nicht aufgefallen. Fakt ist, dass sich die Auseinandersetzung oft persönlich gegen ihn richtet. Daher kann das schon sein.
Bis jetzt verlief der Kampf um die Merkel-Nachfolge recht zivil. Wie groß ist die Gefahr, dass nach den massiven Vorwürfen von Merz ein entgrenzter Machtkampf beginnt?
Groß. Und sie wird größer, je länger die ungeklärte Situation andauert. Da hilft Vertagen nicht, die CDU muss eine Entscheidung treffen.
Merz fordert ja jetzt einen Parteitag im Dezember und die Rücknahme der Entscheidung des Bundesvorstands. Weckt er Erwartungen, die er nicht erfüllen kann?
Er ist ja nicht Mitglied im Bundesvorstand. Er kann das fordern. Die Gremien werden ihm natürlich nicht folgen.
Und das ist keine Niederlage für ihn?
Nein, er markiert damit eine Differenz, die schon lange sichtbar war.
Wie sind die Mehrheitsverhältnisse in der CDU?
Man hört sehr Unterschiedliches. Der Parteitag in Hamburg, wo Merz knapp gegen Kramp-Karrenbauer verlor, hat gezeigt, dass sich zwei in etwa gleich starke Blöcke gegenüberstehen. Der Moment von 2018, als Merz der Neue war, ist vorüber. Dafür hat er die Zeit genutzt, sich in der Partei zu vernetzen. Das Ergebnis ist jetzt offen.
Nach Adenauer scheiterten Erhard, Kiesinger und Barzel als Nachfolger. Nach Kohls Rückzug 1998 gab es einen langen Kampf, den schließlich Merkel beendete. Die friedliche Staffelübergabe am Ende einer Ära ist untypisch für die Union, der tumulthafte Machtkampf die Regel. Warum?
Man bezeichnet die Union ja nicht ohne Grund als Kanzlerwahlverein. Die SPD führt solche Auseinandersetzungen auch, wenn sie regiert. Bei der Union herrscht, wenn sie das Kanzleramt innehat, Disziplin. Um so länger eine solche Machtära dauert, umso mehr Konfliktstoff sammelt sich an. Irgendwann explodiert er.
Den Moment erleben wir jetzt?
Genau. Wobei das in der Sache schon 2018 der Fall war, als es um die Nachfolge von Merkel als Parteivorsitzende ging.
Verwundert Sie die Wucht, mit der die Konflikte in der CDU hervorbrechen?
Nein. Die Spannungen haben sich in der Partei seit zehn Jahren aufgebaut. Merkel hat mit eiserner Hand regiert. Sie hatte die Partei härter im Griff als Kohl.
Karin Prien, CDU-Ministerin in Kiel, appellierte auf Twitter an die drei Kandidaten, „das öffentliche Gezänk sein zu lassen, das tierisch nervt“. Die Beschimpfungen gingen dennoch weiter. Wer kann in der CDU für Beruhigung sorgen? Merkel? Kramp-Karrenbauer?
Das ist das große Problem: Die CDU bräuchte jetzt einen elder statesman oder eine elder stateswoman, der oder die hinter den Kulissen die Kombattanten zusammenbringt. Merkel ist der Partei immer fremd geblieben und fällt aus, weil sie mit Merz über Kreuz ist. Es fehlt die graue Eminenz.
Wolfgang Schäuble?
Er könnte das noch am ehesten sein, aber er hat 2018 Merz unterstützt.
Wofür steht die Union derzeit – außer für Krisenmanagement?
Man sieht die Leere der Union nach 15 Jahren Merkel überdeutlich. Die programmatische Erneuerung der CDU hätte längst beginnen müssen. Aber das ist nicht geschehen. Wohl auch, weil Merkel Kanzlerin geblieben ist und wie die Union durch Corona neuen Aufwind bekommen hat. Dass Merkel auch zwei Jahre nach ihrem Rücktritt als Parteichefin noch immer im Kanzleramt ist, ist ja eine untypische Situation.
Ist die Wahl zwischen Laschet und Merz die Richtungsentscheidung für die Union – weiter liberal-mittig oder wieder konservativ? Oder sind das Überhöhungen?
Laschet tritt als Pragmatiker auf, der einfach machen will und Merkel fortsetzt. Merz ist immer als Antipode von Merkel wahrgenommen worden, weil er mehr für Inhalte der CDU steht. Die Partei braucht eine strategische Richtungsentscheidung. Sie muss wieder ihrem demokratischen Integrationsauftrag nachkommen. Merkel hat der Union das Kanzleramt gesichert, aber der Preis war, dass sich rechts eine Partei oberhalb von zehn Prozent etabliert hat. Die Machtsicherung von Merkel hatte hohe Kosten.
Sie meinen: Die CDU muss nach rechts.
Sie darf die Repräsentationslücke rechts nicht zu groß werden lassen. Sie muss die Volkspartei der Mitte sein, auch der rechten Mitte. Sie muss nicht rechter werden, sondern breiter.
Sie glauben, dass Merz der Richtige ist?
Ja, mit einem Team, das die gesamte Partei widerspiegelt. Merz ist inhaltlich-strategisch die überragende Figur in der CDU. Norbert Röttgen ist ein außergewöhnlicher Außenpolitiker, Armin Laschet kann gut integrieren, Jens Spahn hat Punch und viel Zukunft. Es fehlt jemand wie Hansi Flick bei Bayern München, der ein Team bildet, in dem alle Talente zur Geltung kommen. Dann wäre die CDU so unschlagbar wie Bayern München.
Die Teamlösung, die ja seit Monaten herumgeistert, ist seit Montag aber endgültig vorbei.
Ja, und das Tischtuch sieht zerschnitten aus.
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