Andreas Hartmann über die wegfallende Sperrstunde: Das alte Berlin-Gefühl ist wieder da
Die Astro-Bar in Friedrichshain ist bekannt dafür, dass dort an den Wochenenden ab 22 Uhr ein DJ für die Gäste auflegt. Doch zur Bar-Wiedereröffnung vor einer Woche blieben die Plattenspieler erst einmal weiter im Keller. Um 23 Uhr war ja schon wieder Schluss aufgrund der corona-bedingten Sperrstundenregelung in Berlin. Für eine Stunde den DJ loslegen zu lassen, „das lohnt sich nicht“, sagte der Inhaber der Bar. Jetzt könnte es sich wieder lohnen, denn die Sperrstunde wurde gekippt. Der Besitzer eines Charlottenburger Edelrestaurants zog gegen diese vor das Oberverwaltungsgericht, woraufhin sich der Berliner Senat gezwungen sah, diese wieder aufzuheben. Ab sofort kann man wieder so lange speisen und trinken, wie es den Restaurant- und Kneipenbetreibern gefällt.
Die Idee hinter der Sperrstunde war wohl die Befürchtung, dass die Leute nach dem Lockdown mit ihrer wiedergewonnenen Freiheit nicht richtig umgehen können. Nach dem Motto: Je länger der Abend, desto mehr Alkohol und irgendwann sind alle Abstandsregeln vergessen … Außerdem ist es für die Polizei sicherlich einfacher, während eines bestimmten Zeitfensters die Einhaltung der Hygienemaßnahmen zu kontrollieren als Open-End.
Nur Späti-Betreiber trauern
Doch für die Gastronomen war die Sperrstunde nicht optimal. Anstatt wieder so richtig loslegen zu können nach einer langen Zeit ohne Verdienste, durften sie nur in Maßen bewirten. Die angesammelten Verluste ließen sich so nur sehr schwer kompensieren. Außerdem hatte man das Gefühl, dass zwischen 20 und 23 Uhr so viel los war auf den Straßen und Plätzen, dass sich das auch wieder nicht richtig coronagemäß anfühlte. Wenn sich der Ansturm auf die Kneipen nun wieder zeitlich etwas verteilt, ist das hinsichtlich der Seuchenbekämpfung sicherlich auch nicht schlecht.
Die Späti-Betreiber werden wahrscheinlich der Sperrstunde ein wenig hinterhertrauern. Als die Kneipen längst schon wieder geschlossen hatten, wurde bei ihnen noch fröhlich weiter getrunken. Und von den Berliner Spätis ist bislang auch nicht bekannt, dass sie sich in der letzten Zeit zu Corona-Hotspots entwickelt hätten.
Es mag schwerfallen, aber der Senat muss einsehen, dass es auch mit weniger Paternalismus gehen wird. Nicht jeder, der gerne mit dem Schlauchboot auf dem Landwehrkanal herumschippert, will dabei gleich eine Coronaparty feiern. Genauso muss nicht davon ausgegangen werden, dass ab sofort in den Kneipen nach Mitternacht wild Polonaise getanzt wird. Und die Berliner werden hoffentlich dankbar sein, dass sie sich in ihrer Stadt nun nicht mehr vorkommen müssen wie in Stuttgart. Sie werden verantwortungsbewusst mit der Tatsache umgehen, dass ihnen nun niemand mehr sagt, wann sie abends besser wieder zu Hause sein sollten.
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