Ancelotti wird Trainer bei Real Madrid: Massiver Kreativstau
Nach zwei Amtszeiten von Zinédine Zidane wird Carlo Ancelotti, 61, Real Madrid erneut trainieren. Dabei sind mehr denn je frische Impulse gefragt.
Eines muss man Real Madrids Präsident Florentino Pérez schon lassen: er schafft es immer wieder zu überraschen. Bei seinen Visionen, wie als Präsident der ersten europäischen Superliga, hatte er dabei zuletzt zwar keine Fortune. Dafür klappt es zuverlässig mit Rückgriffen auf die Vergangenheit. Trainer Carlo Ancelotti, 61, jedenfalls ließ sich nicht lange bitten, um als Erbverwalter der zweiten Amtszeit von Zinédine Zidane seinerseits für eine zweite Amtszeit zurückzukehren. Der Italiener arbeitete bereits von 2013 bis 2015 für den königlichen Klub.
„Ancelotti stand nicht mal bei Florentino auf dem Tippzettel“, spöttelte dazu der ehemalige Real-Sportdirektor Jorge Valdano. Zu lange her schienen die glorreichen Tage, als er dem Klub 2014 die zehnte Champions League der Klubgeschichte gewann und durch gute Manieren wie den gepflegten Fußball seiner Elf zu einem ähnlich beliebten Trainer wie später sein damaliger Assistent Zidane avancierte.
An seinen vergangenen Stationen wirkte Ancelotti zunehmend wie ein Mann von gestern. In München und Neapel wurde er während der zweiten Saison entlassen, bei Everton belegte er die Ränge zwölf und zehn. England, Italien, Deutschland, davor Spanien bei Real, noch davor Frankreich bei Paris St. Germain und England bei Chelsea: Seit seiner langen, erfolgreichen Ägide beim AC Milan (2001-2009, zwei Champions-League-Siege) tingelt „Carletto“ halt so um die Welt. Stets entspannt, meistens beliebt, aber auch immer beliebiger: länger als zwei Jahre blieb er nirgendwo mehr. Für interessante Taktiken war bei so vielen Umzügen kaum Zeit, und bei Everton spielte er nicht mal mehr Europacup.
Die Idee einer Rückkehr aus dem zugigen Nordengland in seine zentral am Stadtpark gelegene Madrider Wohnung musste ihm da zwangsweise attraktiv erscheinen; und die jüngste Klage seines Vorgängers Zidane gegen das Arbeitsklima unter Pérez („Nicht das nötige Vertrauen“) ebenso unerheblich wie der Nachgeschmack seiner umstrittene Entlassung durch den Präsidenten 2015.
Raúl im Wartesaal
Das süße Parfüm der Erinnerungen trug seinem Comeback bei einer Mehrheit von Fans und Kommentatoren spontan Beifall ein. Nach Absagen von Coaches wie Massimiliano Allegri und Mauricio Pochettino ging es vor allem darum, schnell irgendwen zu präsentieren, und ein großer Name muss es bei Pérez immer sein. „Die Wahl Ancelottis erscheint mir vernünftig“, urteilte vor diesem Hintergrund auch Valdano, „und im Wartesaal steht ja Raúl bereit.“ Der ehemalige Kapitän trainiert derzeit die zweite Mannschaft, auch seine Beförderung war in Erwägung gezogen worden, doch wie einst Zidane soll er noch etwas reifen – um dann notfalls wie dieser 2016 von Ancelotti-Nachfolger Rafael Benítez während der Saison zu übernehmen.
Same procedure as every Trainerwechsel also letztlich; dieselben Erwägungen, dieselben Namen. Wie unvermeidlich akzeptiert selbst das sonst so anspruchsvolle Real-Umfeld, im eigenen Saft zu schmoren. Dabei könnte man nach nun schon drei zähen Spielzeiten seit dem letzten Champions-League-Sieg 2018 gut neue fußballerische Impulse gebrauchen. Pérez lässt gerade in großem Stil das Bernabéu-Stadion renovieren, täglich geistern Videos von den Arbeiten und Animationen einer Architekturikone durch die Medien. Doch auf der sportlichen Großbaustelle herrscht großer Kreativstau.
Real leidet dabei unter einer Gleichzeitigkeit, die auch den ewigen Rivalen FC Barcelona plagt und kurzfristig keine Renaissance der beiden spanischen Kolosse erwarten lässt: die Kassen sind leer und die Kader über dem Zenit. Andere Trainer konnte Pérez auch deshalb nicht verführen, weil er ihnen kein attraktives Projekt anbieten konnte. Stattdessen muss sich Ancelotti mit Altlasten herumschlagen: Marcelo, Isco, der dauerverletzte Eden Hazard, selbst Gareth Bale kommt von einer Ausleihe bei Tottenham zurück. Nur wenn man sie und noch ein paar andere von der Gehaltsliste bekäme, ließe sich vielleicht einer der früher üblichen Toptransfers stemmen. Bislang hat sich Real mit dem Ex-Bayern David Alaba nur im Fundus der Ablösefreien bedient.
Als Versprechen wird wie jeden Sommer der junge Pariser Kylian Mbappé, 22, lanciert. In der Wirklichkeit der abgelaufenen Saison waren die zuverlässigsten Leistungsträger aber Karim Benzema, 33, Luka Modric, 35, und Toni Kroos, 31. Unterdessen muss Kapitän Sergio Ramos, 35, bis zum Monatsende bewerten, ob er doch noch ein altersgerechtes Einjahresangebot zur Vertragsverlängerung annimmt oder anderswo noch mal etwas Besseres findet. Womöglich hält er es am Ende ja mit derselben Maxime wie sein Verein bei der Trainerwahl: In Krisenzeiten immer auf Nummer sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?