Analyse: Preis der Harmonie
■ Wirtschaftsforschungsinstitut findet betriebliche Mitbestimmung zu teuer
Mitbestimmung ist teuer. Für Betriebsräte, Versammlungen und Einigungsverfahren müssen deutsche Unternehmen jährlich mehr als einen Tausender pro Beschäftigtem ausgeben. Dieses Ergebnis einer Umfrage unter 29 Unternehmen mit zusammen 875.000 Mitarbeitern hat das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln veröffentlicht. Auch die Einzelposten listet das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut penibel auf: Sie reichen von 490 Mark Freistellungskosten für Beschäftigte, die an Betriebsversammlungen teilnehmen, bis zu 16 Mark Reisekosten für Mitglieder des Betriebsrats. Und man kann nicht umhin, dahinter die rhetorische Frage zu hören: „Ist das nicht ein bißchen viel?“ Die Einsparvorschläge liegen auf der Hand: Müssen Betriebsräte überhaupt reisen? Und kann man Betriebsversammlungen nicht auch in der Mittagspause abhalten?
Dabei besteht die Gefahr, daß die Vergleichsgröße völlig unter den Tisch fällt: 1.096 Mark sind der Input, aber gibt es keinen Output? Das IW schweigt dazu beharrlich. Nur der Titel „Harmonie hat ihren Preis“, unter dem die Forscher die Umfrageergebnisse in ihrem Nachrichtendienst präsentieren, läßt ahnen, daß es bei der Mitbestimmung neben der Kosten- auch eine Nutzenseite geben könnte.
Allerdings ist die Berechnung dieses Nutzens nicht ganz einfach. Nicht, weil er so gering ist, sondern weil sich nur wenige Konsequenzen betrieblicher Mitbestimmung konkret in Zahlen wiedergeben lassen. Und bei diesen handelt es sich eher um Nebenprodukte des verbesserten Betriebsklimas. So hat das Deutsche Institut für Betriebswirtschaft zusammengerechnet, was Unternehmen aufgrund von Verbesserungsvorschlägen motivierter Mitarbeiter sparen können: Im vergangenen Jahr waren es mehr als 1,5 Milliarden Mark. Und diese Rechnung berücksichtigt nur Einsparungen aufgrund von Tips und Hinweisen, die die Beschäftigten bei entsprechenden innerbetrieblichen Wettbewerben eingereicht hatten. Ideen, die gar nicht erst diesen offiziellen Weg über eine Ausschreibung nehmen, sondern direkt vor Ort oder in der Schicht verwirklicht werden, sind noch gar nicht erfaßt.
Noch schwieriger ist es auszurechnen, wie sich die ordnende Wirkung von Mitbestimmung finanziell niederschlägt: Mit wieviel Mark ist der soziale Frieden im Unternehmen zu verbuchen, mit wieviel ein Betriebsrat, der Reibungsverluste zwischen einzelnen und Vorgesetzten oder Gesamtbelegschaft und Management minimiert? Was bringt es für die Produktivität, wenn Beschäftigte sich integriert fühlen und nicht nur Dienst nach Vorschrift schieben oder gar innerlich kündigen? Oder wenn ein Umstrukturierungsprogramm mit Millioneneinsparungen partnerschaftlich durchgezogen werden kann? Beate Willms
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