Analyse: Hoch die Solidarität
■ Alte raus, Junge rein in die Betriebe - der Tariffonds und die realen Klippen
Heiße Luft wollen Gewerkschaften und der neue Arbeitsminister nicht produzieren. Im Gegenteil. Der Tariffonds sei eine ernstzunehmende Sache, sagen sie. Die Idee, die dahintersteckt, ist simpel: Ältere Arbeitnehmer werden Platz für die Jungen schaffen. Vor allem Arbeitslose sollen wieder hoffen dürfen, weil jene, die gehen, keine Einbuße bei der Rente befürchten müssen. Dank des Tariffonds, in den Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen einzahlen.
Bundesweit sind heute 3,2 Millionen Arbeitnehmer zwischen 55 und 60 Jahre alt, 700.000 älter als 60. Das verleitet zu Zahlenspielereien. Ginge nur jeder dritte von den 3,2 Millionen vorzeitig mit 60 auf Rente, rechnet sich Klaus Zwickel aus, gäbe es Jobs für mehr als eine Million Erwerbslose. Wenn sich der IG-Metall-Chef da nicht täuscht. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund rechnet man, daß für eine Stellenneubesetzung bis zu 7 Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen müssen. Egal. Leer fegen läßt sich der Arbeitsmarkt allein mit dem Instrument der Altersteilzeit wohl nicht.
Für wen ist ein solcher Fonds überhaupt attraktiv? Heute haben bereits mehr als 23 Wirtschaftszweige und eine Reihe von Unternehmen mit weit mehr als 5 Millionen Beschäftigten Tarifverträge zur Altersteilzeit vereinbart, die auf dem Altersteilzeitgesetz von 1996 aufbauen. Mustergültige Tarifvereinbarungen können die Metall- und die Chemiebranche vorzeigen. Die gefürchteten Rentenabschläge (bis zu 18 Prozent) beim vorzeitigen Ruhestand werden betriebsintern kompensiert. Industrieriesen haben schon heute wenig Probleme mit dem Modell „Alt macht Platz für Jung“. Bei den mittleren und kleineren Unternehmen, etwa in der Metallbranche, stellt sich die Situation aber schon problematisch dar. Für jene Unternehmen, die es sich nicht leisten können, die Altersteilzeit intern abzufedern, könnte ein Fonds hilfreich sein. Wer soll in ihn einzahlen, wer sich aus ihm bedienen? Etwa auch die VW-Arbeiter, die durch ihren Tarifvertrag bei der Altersteilzeit schon heute zu 100 Prozent abgesichert sind? Oder sollen künftig nur jene einzahlen, die sich aus ihm bedienen müssen? Unklar ist auch, ob jede Branche ihren eigenen Fonds einrichtet oder ob alle in einen einzigen zahlen sollen. Der Fallstrick liegt in jedem Fall bereit. Riester und Co. wollen den Fonds tarifvertraglich regeln. De jure wäre die Regelung dann zwingend und verbindlich. In der Realität aber werden Tarifvertragsbrüche heute bestenfalls als Kavaliersdelikte angesehen.
Der frühere Rentenbeginn wirft noch viele Fragen auf. Nach Jahren des hartnäckigen Aneinandervorbeiredens aber sind zumindest Gewerkschaften und Regierung willens, etwas Neues zu versuchen. Sie müßten ihre Vorstellungen nur noch konkretisieren. Annette Rogalla
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