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AnalyseVon Pille und Spritze

■ Das Schmerzmittel Aspirin wird 100. Das einstige Hustenmittel Heroin auch

Hundert Jahre Aspirin. Oje! Tut der Kopf weh; ein eher wattiger Schmerz, eingehüllt von ein bißchen Rauch, Kaffee, Gesprächsfetzen und Alka-Seltzer, „dem Klassiker“, wie meine Apothekerin neulich meinte. Die Alka-Seltzer- Packung sieht besser aus als die Aspirin-Schachtel. Trotzdem wurde zur 100-Jahr-Feier von Aspirin am Samstag das Verwaltungshochhaus der Leverkusener Bayer AG in die größte Aspirinw-Schachtel der Welt verwandelt.

120 Meter hoch, 65 Meter breit und 19 Meter tief. Damit möchte Bayer ins Guinness-Buch der Rekorde. 22.500 Quadratmeter Netzgewebe waren nötig, um die Fassadenfläche der Konzernhalle zu verhüllen. Dahinter versteckt man die Leiden der Kollegen und Kolleginnen und die Aussichtslosigkeit der angeschlossenen Fußballvereine. Das alles ist sicher imposant und wird zwei Wochen lang in Leverkusen rumstehen. Andersrum betrachtet ist es aber auch feige, denn die zweitgrößte Aspirinw-Schachtel der Welt ist sicher nicht höher als 12 Meter und kein echter Gegner.

Wie auch immer: 12,7 Milliarden Aspirin-Tabletten wurden im vergangenen Jahr gepreßt. Nebeneinandergelegt könnte man sie siebenmal um den Äquator wickeln. Mit einer Milliarde Umsatz macht „die Wunderdroge“, die auch gegen Alzheimer helfen soll, „ein Stück Kulturbesitz der Menschheit“, wie Bayer findet, etwa ein Drittel des gesamten „Consumer-Care-Bereichs“ aus.

Neil Armstrong nahm Aspirin gegen Muskelschmerzen auf seinem ersten Flug zum Mond. Thomas Mann und Erich Honecker sollen darauf geschworen haben. Eng verknüpft ist Aspirin mit den rites des passage der Adoleszenz. Dem ersten Rausch zum Beispiel, also eine Art erste Zigarette danach noch mit stolz zittrigen Händen.

Bitterfeld ist passenderweise der einzige deutsche Aspirin-Produktionsort. Aspirin soll allerdings auch ein Vitaminkiller sein, wie eine Freundin mir gerade versicherte. Tigerbalsam tut's wohl auch.

Im Aspirin-Geburtsjahr brachten die Bayer-Werke auch Heroin auf den Markt. Heroin, „das Beruhigungsmittel bei Husten“, und Aspirin begründeten den Erfolg von Bayer und wurden gern im Doppelpack beworben. Obgleich schon 1904 auf die suchterzeugende Wirkung des Medikaments aufmerksam gemacht wurde, wurde es erst 1912 verschreibungspflichtig und 1924 aus dem Verzeichnis erlaubter Medikamente für die USA gestrichen.

Zur Traditionspflege sollte man neben die „größte Pillenschachtel der Welt“ auch die größte Spritze der Welt stellen. Im Gegensatz zu Aspirin ist nämlich von Heroin in den künstlerischen Werken dieses Jahrhunderts recht oft die Rede. Detlef Kuhlbrodt

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