Analyse der US-Geheimdienste: Der Abstieg der Supermacht
Ein neuer Geheimdienstbericht prognostiziert, dass die Macht der USA nachlassen wird. Die Strategen erkennen Klimawandel, knappes Öl und das Wachstum im Osten als Realität an.
Eine multipolare Welt, in der sich Wohlstand und Wirtschaftsmacht stark von Westen nach Osten verschoben haben und in der die USA zwar noch eine starke, aber nicht länger die dominante Supermacht sind - so stellt sich der National Intelligence Council (NIC) die Welt im Jahr 2025 vor.
In seinem Bericht prognostiziert das National Intelligence Council (NIC) für Europa sogar noch einen größeren Bedeutungsverlust als für die USA. Ein Grund: Die auch in den nächsten Jahren zu erwartende Energieabhängigkeit von Russland. Zudem zweifelt der Thinktank, dass die EU ihre institutionellen Reformen rasch zu Ende bringen und eine globale Führungsrolle einnehmen kann. Skeptisch wird die Alterung der europäischen Bevölkerung betrachtet: "Schmerzvolle Reformen könnten Europa zu einem humpelnden Riesen machen, abgelenkt von internem Gezänk und konkurrierenden nationalen Zielen." Entscheidend wird nach Ansicht des NIC auch sein, wie Westeuropa seine Minderheiten sozial, politisch so wie auf dem Arbeitsmarkt integriert, insbesondere die Muslime. Der Bericht sieht große Chancen für Europa, sollte dies gelingen - und zunehmende Konflikte, sollte dies scheitern. TAZ
Der NIC ist die Arbeitsgruppe für globalstrategisches Denken der US-Geheimdienste. Deren letzter Bericht liegt vier Jahre zurück - vier Jahre, in denen sich, wie der nun veröffentlichte neue Bericht zeigt, das Denken in den USA stark verändert hat.
Der Bericht "Global Trends 2025: A transformed World" weist eine deutlich veränderte Wahrnehmung der Welt aus: Ging der NIC etwa 2004 noch davon aus, dass Energiereserven "im Boden" - gemeint war vor allem Öl - für die Deckung des weltweiten Bedarfs bis auf weiteres ausreichen würden, so gilt die Transformierung der Energieversorgung weg von fossilen Brennstoffen im neuen Bericht als klare Notwendigkeit, wenn auch mit unklarem Zeitrahmen.
Während der Klimawandel noch vor vier Jahren in den wichtigen Grundannahmen des Berichts keine Rolle spielte - ein Zeitpunkt, da auch die Bush-Regierung noch die Einsicht verweigerte, Klimawandel habe möglicherweise seine Ursache in menschlichem Tun - geht der neue Bericht vom Klimawandel und seinen Folgen für Küstenstaaten, Landwirtschaft und Wasserversorgung als unumstößlicher Tatsache aus. Unsicher sei lediglich, in welchem Zeitraum und wie heftig sich die Konsequenzen des Wandels zeigten.
Ein mögliches Szenario sieht einen namenlosen US-Präsidenten im Oktober 2020 nach einer Sturmflut über Manhattan in sein Tagebuch schreiben: "Die Bilder gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich denke, das Problem war, dass wir uns darauf verlassen haben, dass dies nicht passiert, zumindest noch nicht jetzt. Die meisten Wissenschaftler nahmen an, dass die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels erst später in diesem Jahrhundert auftreten würden […]. Aber wir wurden gewarnt, dass wir unsere Energieerzeugung dezentralisieren und unsere Infrastruktur verbessern müssen, um Wetterextremen standhalten zu können. Tragisch, dass wir diesen Rat nicht befolgt haben."
Doch der Bericht sieht auch Positives am Klimawandel: Als strategische Veränderungen einer abschmelzenden Arktis benennt der NIC etwa kürzere Schifffahrtsrouten zwischen Nordatlantik und Nordpazifik und sieht Kanada und Russland als Gewinner der Klimaerwärmung: Beide könnten neue Energiequellen erschließen, die jetzt durch Vereisung nicht zugänglich seien, Kanada könnte die Ernteperioden ausdehnen und Heizkosten sparen.
Die größten Veränderungen im globalen Kräftefeld aber verortet der NIC ökonomisch: Durch die Öleinnahmen einerseits und den komparativen Kostenvorteil bei den Produktionsstandorten sei ein Transfer von Wirtschaftskraft von West nach Ost im Gange, der historisch seinesgleichen suche. Wachstumsprognosen für Brasilien, Russland, Indien und China legten nahe, dass diese vier gemeinsam bis 2040 oder 2050 den gleichen Anteil am Weltsozialprodukt haben dürften wie die alten G-7-Staaten.
Dabei besorgt die US-Strategen, dass insbesondere Russland und China mit einem Modell des Staatskapitalismus operieren, das die Anziehungskraft des westlichen Kapitalismus mitsamt seinem Demokratiemodell weiter schwächt. Zwar gäbe es in China Hoffnung auf die Entstehung einer breiten Mittelschicht als Träger von Demokratisierung, ausgemacht sei das jedoch nicht.
Terrorismus, in den Jahren nach dem 11. September 2001 größte Sorge der US-Außen- und Sicherheitspolitik, werde, so der NIC, "2025 kaum verschwunden sein, aber seine Anziehungskraft dürfte schwächer werden, wenn das Wirtschaftswachstum im Nahen und Mittleren Osten anhält und die Jugendarbeitslosigkeit abgebaut wird". Auch solche Ursachenforschung ist ein neuer Ton in der Welt der US-Geheimdienste.
Die künftige Rolle der USA beschreiben die Autoren zwiespältig: "Die Vereinigten Staaten werden in den nächsten 15 bis 20 Jahren mehr Einfluss auf die Entwicklung des internationalen Systems haben als irgendein anderer internationaler Akteur, aber sie werden in einer multipolaren Welt weniger Gewicht haben als sie es viele Jahrzehnte lang gewöhnt waren."
Wie genau die Zukunft aussehe, hänge wesentlich von den Entwicklungen im Rest der Welt ab, vor allem in China und Russland: "Eine Welt mit relativ wenigen Konflikten mit anderen Großmächten würde den Weg für die Entwicklung eines multipolaren Systems ebnen, in dem die USA die Ersten unter Gleichen sind." Gleiches dürfte den Autoren nach der US-Währung widerfahren: Derzeit noch weltweite Leitwährung und Währungsreserve, sehen sie den Dollar 2025 nur mehr als "Erste unter Gleichen" in einem ganzen Korb von Währungen.
Multipolarität bedeute im Übrigen keineswegs auch Multilateralismus, also eine bessere internationale Zusammenarbeit. Im Gegenteil sehen die Autoren eine Fragmentierung der Welt in staatliche und nichtstaatliche Akteure, unter Letzteren neben NGOs auch "Unternehmen, Volksstämme, religiöse Organisationen und selbst kriminelle Netzwerke" dürften immer mehr Einfluss gewinnen. Der Bedarf an "Global Government" wachse zwar - doch die bestehenden internationalen Institutionen seien dazu nicht mehr in der Lage.
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