Das Portrait
: An der Spitze der Demonstrationen

■ Iwan Kostow

„Manchmal würfelst du zwei Sechsen, ein anderes Mal zwei Einsen. Wer mit den Würfeln des Lebens würfelt, muß den Mut haben, mit jeder Kombination fertig zu werden“, bemerkte Iwan Kostow unlängst in einem Interview. Jetzt hat er eine Sechs gewürfelt. Als Vorsitzender der Vereinigung der demokratischen Kräfte (ODS), die bei den Parlamentswahlen am Samstag die absolute Mehrheit gewann, wird er mit größter Wahrscheinlichkeit der nächste Premierminister Bulgariens.

Iwan Kostow wurde 1949 in Sofia geboren. Sein Studium an der Karl-Marx-Uni für Ökonomie schloß er mit einer Dissertation über Faktoren des Wachstums in der sozialistischen Planwirtschaft ab. Anschließend holte er sich Mathematik seinen zweiten Doktortitel.

Sein Entree in die Politik hatte Kostow 1990: Als Experte für Wirtschaft beriet er die Union der demokratischen Kräfte (SDS), einer Sammelbewegung, die 1989 als Opposition zu den regierenden Kommunisten gegründet worden war. Als im Herbst die sozialistische Regierung unter dem Druck von Demonstrationen und Streiks abtreten mußte und die erste nichtkommunistische Koalitionsregierung gebildet wurde, übernahm Iwan Kostow den Posten des Finanzministers. Zu den Maßnahmen, die er durchsetzte und die ihm viel Kritik aus der Bevölkerung einbrachten, gehörte eine Liberalisierung der Preise für Lebensmittel. Bei den Wahlen am 13. Oktober 1991 wurde die SDS stärkste Partei. Im SDS-Minderheitskabinett übernahm Kostow wiederum den Posten des Finanzministers. Ende 1992 war das Experiment einer SDS-Regierung vorerst beendet. Regierungschef Dimitrow mußte zurücktreten und die SDS, ein Bündnis aus 15 Parteien, sich neu strukturieren. 1994 gewannen die Sozialisten bei Parlamentswahlen die absolute Mehrheit. Vilip Dimitrow, bis dahin Vorsitzender der SDS, trat zurück. Damit schlug Kostows große Stunde. Als neuer Chef des Bündnisses hatte er die schwere Aufgabe, die unterschiedlichen Partner zusammenzuschweißen.

Als in Bulgarien im Januar täglich Zehntausende auf die Straße gingen und den Sturz der sozialistischen Regierung forderten, avancierte Kostow zum Hoffnungsträger. Jetzt muß er beweisen, daß er mehr kann, als an der Spitze einer Demonstration zu stehen: Bulgarien regieren. Barbara Oertel